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Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Titel: Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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anderen Toten?“
    „Lindsey war ein Auftragsmord.“ Ravin lehnte sich gegen die Wand. „Ich habe das überprüfen lassen. De Vito hat dafür bezahlt. Es scheint einen Kontaktmann an der Ostküste zu geben.“
    „Kennen wir ihn?“
    „Noch nicht.“
    „Kain ist eine Bedrohung“, warf Naveen ein. „Ein Monster.“
    Mordechai wandte ihm den Kopf zu. „Du nennst meinen Sohn ein Monster?“
    Der Inder verschränkte seine Finger. „Er war ein Ungeheuer. Nicht kontrollierbar.“
    „Er war jung.“
    „Du kanntest ihn kaum.“
    „Das ist wahr.“ Naveens Gesicht verwandelte sich in einen glatten Spiegel, der alle Emotionen schluckte. „Trotzdem sollten wir Vorbereitungen treffen. Vielleicht treibt ihn der Wunsch nach Rache.“ Er zögerte. „René Moreau war kein einfacher Gegner. Und dennoch hat Kain ihn getötet.“
    „Er war sorglos“, warf Ravin ein. „Er hat viele Jahre nicht mehr kämpfen müssen. Kain hat ihn vermutlich überrascht.“
    Mordechai realisierte, dass er Naveens Unruhe nicht teilte. Er verspürte keine Furcht. Wie auch? Die Vorstellung war lächerlich. Eine andere Empfindung füllte ihn aus, eine leise Erregung, beinahe ein Fieber.
    „Sorgt dafür, dass unsere Leute Ausschau halten und auf der Hut sind“, sagte er. „Ich will nicht, dass einem von ihnen das Gleiche widerfährt wie diesem René Moreau, nur weil er sorglos war.“
    Ravin nickte.
    „Und findet mehr über diesen Kontaktmann heraus.“ Mordechai schob seinen Stuhl zurück und stand auf.

    Kain trieb im Abendverkehr, der den Pacific Coast Highway in eine sechsspurige Blechlawine verwandelte. Die Sonne versank leuchtend rot in den Wolken, die vom Meer aufzogen. Wie Scherenschnitte standen die Silhouetten der Kräne vor dem Horizont, die Hafenanlagen von Long Beach.
    Während Kain im Schritttempo vorwärts rollte, studierte er die Hausnummern auf der linken Straßenseite. Carnegies Export-Import verschanzte sich hinter einer hohen Betonmauer, die zusätzlich mit Stacheldraht gesichert war. Kameras observierten die Straße.
    Kain passierte eine Einfahrt mit einer Sicherheitsschleuse und stoppte sein Fahrzeug ein paar Meter weiter. Im Rückspiegel beobachtete er, wie sich das Stahltor aufschob.
    Ein grauer Dodge Magnum mit getönten Scheiben fuhr hinaus auf die Straße. Vielleicht ein Kunde oder einer der Mitarbeiter. Kain erfasste die Umrisse einer Halle auf der anderen Seite der Mauer. Das Carnegies Areal stieß direkt an den Hafen, besaß eigene Piers und Entladeanlagen. Er würde einige Zeit damit verbringen, den Herzschlag des Unternehmens zu beobachten, den Rhythmus, in dem Mitarbeiter kamen und gingen. Er musste sich ein Bild über die Zugänge machen, musste erkunden, wie Land- und Seeseite gesichert waren. Er fragte sich, wie Mordechai reagieren würde, wenn er hörte, dass er wieder in der Stadt war.
    Vor ihm kam der Verkehr wieder ins Fließen. Kain nahm den Fuß vom Bremspedal. Er suchte nach dem Dodge, der sich ein paar Meter hinter ihm in die Autoschlange eingeordnet hatte. Ein halbes Lächeln glitt ihm über die Lippen. Ein Schattenläufer. Der Fahrer des Dodge gab sich keine Mühe, seine Natur zu verbergen.
    Vielleicht würde es leichter werden als geplant. Vielleicht entschied Mordechai, den Zeichen zu folgen und die Einladung anzunehmen.
    Die Vorstellung erregte Kain. Er drehte die Musik im Wagen lauter. Beethovens fünfte Symphonie schlug über ihm zusammen. Die Harmonien sanken in seine Haut, verdichteten sich zu Kraft und Wärme. Er lauschte den Akkorden, die das Adrenalin in seinen Adern aufpeitschten.
    So viele Jahre. So lange hatte er seinen Hass konserviert. Die Narben geküsst und gewartet. Gewartet, dass er an Stärke gewann, um seinem Vater gegenüberzutreten. Es würde anders sein, dieses Mal. Er war nicht länger ein hilfloser Junge, der seinen Zorn nicht zu kanalisieren wusste. Er war auch kein Wilder mehr, blind der eigenen Zerstörungskraft ausgeliefert und unfähig, einen taktischen Gedanken zu fassen. Mordechai hatte seine Schwächen genutzt, um ihn zu demütigen, ihn zu verletzen und ihn schließlich zu brechen. Doch nun wusste er, wie er seinen Hass kontrollieren konnte. Er hatte seine Schwäche in Stärke verwandelt.
    Der graue Dodge hinter ihm scherte aus auf die äußerste rechte Spur, die auf den Harbour Freeway in Richtung Norden führte. Kain schloss zu ihm auf. Als sie auf gleicher Höhe fuhren, warf er einen Blick hinüber zum Fahrer. Obwohl er nur wenig mehr erkennen konnte als

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