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Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Titel: Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut
Autoren: Andrea Gunschera
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Ausdruck unverhohlener Feindseligkeit. „Bring ihn hoch, okay?“
    Alan schob das Handy zurück in die Tasche. „Danke“, sagte er.
    Auf dem Weg zum Haupteingang wechselten sie kein Wort. Aaron lief einen halben Meter vor Alan, mit wütenden, weit ausgreifenden Schritten.
    Die Verwaltung des Carnegie-Unternehmens war in einem schwarz verglasten, zwölfstöckigen Hochhaus untergebracht, das direkt ans Wasser gebaut war. In den unteren sechs Geschossen befanden sich die regulären Büros, dannfolgten Etagen, die nur Mordechais innerem Zirkel zugänglich waren. Labore, Wohnungen, Bibliotheken. Die beiden obersten Stockwerke beherbergten Mordechais Privatquartier.
    Alan folgte Aaron zu den Aufzügen im Zentrum der Lobby. Der Wachmann benutzte einen chipcodierten Schlüssel, um den Fahrstuhl in Bewegung zu setzen. Im achten Stock wechselten sie in eine andere Kabine, die bis hoch zur elften Etage fuhr.
    „Von hier aus findest du den Weg ja selbst“, knurrte Aaron, als die Türen aufglitten.
    Alan trat hinaus in Mordechais Privatlobby mit den hohen Fenstern und holzvertäfelten Wänden. Ein Wasserbecken war in den Boden eingelassen. In schwarzen Marmorvasen standen Bambusstauden und blühendes Schleierkraut. Seine Schritte hallten gedämpft auf den glänzenden Kacheln. In einem Durchgang tauchte ein kleiner, ältlicher Inder auf. Naveen, Mordechais Privatsekretär.
    „Guten Tag“, begrüßte ihn der Mann. Er machte eine winzige Verbeugung, bei der sich Alan nie sicher war, ob es sich dabei nicht um eine subtile Form von Spott handelte. „Wir haben Sie nicht erwartet.“
    Alan lächelte. „Darf ich ihn trotzdem sehen?“
    „Er ist im Garten.“ Naveen öffnete eine Glastür. „Möchten Sie Kaffee oder Tee? Eine Kleinigkeit essen?“
    „Kaffee wäre schön.“
    „Sehr gern.” Naveen verschwand so lautlos, wie er gekommen war. Alan blieb noch einen Moment stehen, dann trat er hinaus auf die Terrasse. Mit einem leisen Klicken fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Wie jedes Mal verweilte er eine Zeitlang und genoss die Schönheit dieses Ortes.
    Mordechai verglich die Anlage gern mit den hängenden Gärten der Semiramis. Die Außengalerie umlief das Gebäude auf drei Seiten. Hohe Säulen stützten das darüber liegende Stockwerk. An einigen Stellen hatte der Architekt die Bodenplatten durchbrochen. Nun wucherten Farne und Bougainvillea durch die künstlichen Kanäle und verwandelten die beiden Stockwerke in einen blühenden Dschungel.
    Alan folgte einem überdachten Pfad und bog um die Ecke. Die Glasbrüstung bot einen weiten Blick über das Meer. Wind raschelte in Palmwedeln und den Kronen der Olivenbäume und spielte mit den Lilien, die sich schwer auf ihren Stängeln wiegten.
    Zur Mitte hin verbreiterte sich der Garten zu einer kleinen Plaza. Wasser stürzte von der oberen Ebene hinab in ein Bassin. In der Luft hing feiner Sprühnebel und benetzte die Sträucher und Schlingpflanzen, die den Platz in eine schattige Laube verwandelten. Alan hatte erwartet, Mordechai hier zu finden, doch die Plaza lag verlassen. Er mochte diesen Ort, er hatte viel Zeit hier verbracht. Das war, bevor die Kluft zwischen ihm und seinem Vater aufsprang, diese schwelende Wunde. Mit jedem Jahr schien sie tiefer zu reichen, ganz gleich, wie sehr sie versuchten, einander zu verstehen.
    Alan wanderte weiter, vorbei an einer Reihe Zitronenbäume bis zum Rosengarten am Ende der Terrasse. Dort endlich fand er Mordechai in einer Nische mit einigen Korbstühlen. Rosenhecken schirmten den Platz ab. Alan blieb einige Schritte entfernt stehen.
    „Vater.“
    Mordechai war ein hagerer, grobknochiger Mann. Sein schwarzes Haar hatte er in den Nacken zurückgekämmt. Die Brille mit einem Stahlrahmen, die ihm das intellektuelle Aussehen eines Universitätsprofessors verlieh, war ein Tribut an die Eitelkeit. In dreitausend Jahren hatte seine Sehfähigkeit nicht gelitten; es gab keinen Grund, warum sich das in den vergangenen zwei Jahren geändert haben sollte.
    „Deine Freunde hetzen mir die Polizei auf den Hals“, sagte Mordechai, ohne von seinem Buch aufzusehen. „Kommst du, um mich um Verzeihung zu bitten?“
    Alan blickte auf ihn herab, auf die scharf geschnittene Nase, die tief liegenden Augen unter schwarzen Brauen. Der arabische Einschlag in Mordechais Zügen war unverkennbar. Seine Herkunft lag im Dunkeln, aber aus seinen Andeutungen schloss Alan, dass er im Persien der Achaimeniden geboren worden war. Mordechai hatte Kyros den Großen als
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