Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
die schnellste Fluchtmöglichkeit vor der unversöhnlichen Hitze suchten. Die Feuersäule wurde höher und breiter, bis sie den Raum und die Welt ausfüllte und bis sie alles war und Layla nichts.
Luce erwartete Dunkelheit und fand Licht.
Wo war der Verkünder? Steckte sie etwa immer noch in Layla?
Das Feuer brannte weiter. Es ging nicht aus. Es wuchs. Die Flammen verzehrten mehr und mehr von der Dunkelheit und loderten in den Himmel, als sei die Nacht selbst entflammbar, bis die heiße Feuersbrunst aus Rot und Gold alles war, was Luce sehen konnte.
Jedes Mal, wenn eines ihrer früheren Ichs gestorben war, war Luce gleichzeitig aus den Flammen heraus und in den Verkünder hineingekommen. Irgendetwas war anders, etwas, das sie Dinge sehen ließ, die unmöglich real sein konnten.
Brennende Flügel.
»Daniel!«, rief sie aus. Etwas, das wie Daniels Flügel aussah, schwebte durch Flammenwogen, fing Feuer, doch es schwelte nicht, so als bestünden die Flügel aus Feuer . Luce konnte nur weiße Flügel und violette Augen erkennen. »Daniel?«
Das Feuer rollte durch die Dunkelheit wie eine riesige Welle über ein Meer. Sie schlug gegen ein unsichtbares Ufer und spülte wütend über Luce hinweg.
Dann, als habe jemand eine Kerze ausgedrückt, erklang ein schnelles Zischen und alles wurde schwarz.
Ein kalter Windhauch streifte ihren Rücken und sie bekam eine Gänsehaut. Sie umschlang mit beiden Armen ihren Körper, zog die Knie an, und erkannte schlagartig zu ihrer Überraschung, dass kein Boden unter ihren Füßen war. Sie flog nicht direkt, sie schwebte nur richtungslos. Diese Dunkelheit war kein Verkünder. Sie hatte den Sternenpfeil nicht benutzt, aber war sie irgendwie … gestorben?
Sie hatte Angst. Sie wusste nicht, wo sie war, nur, dass sie alleine war.
Nein. Da war noch jemand. Ein kratzendes Geräusch. Ein fahles graues Licht.
»Bill!«, rief Luce bei seinem Anblick, so erleichtert, dass sie anfing zu lachen. »Oh, Gott sei Dank. Ich dachte, ich hätte mich verirrt – ich dachte … oh, vergiss es.« Sie holte tief Luft. »Ich konnte es nicht tun. Ich konnte meine Seele nicht töten. Ich werde eine andere Möglichkeit finden, den Fluch zu brechen. Daniel und ich – wir werden uns nicht aufgeben.«
Bill war weit entfernt, schwebte jedoch auf sie zu und machte Loopings in der Luft. Je näher er kam, umso größer wirkte er, er schwoll an, bis er zweimal, dann dreimal, dann zehnmal so groß war wie der kleine steinerne Gargoyle, mit dem sie gereist war. Und dann begann die eigentliche Verwandlung:
Hinter seinen Schultern brachen zwei dickere, vollere, pechschwarze Flügel hervor und zerschmetterten seine vertrauten kleinen Steinflügel in tausend Stücke. Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich und dehnten sich über seinen ganzen Körper aus, bis er entsetzlich alt und verschrumpelt aussah. Die Krallen an seinen Händen und Füßen wurden länger, schärfer, gelber.
Sie glänzten rasiermesserscharf in der Dunkelheit. Seine Brust schwoll an, und dicke, lockige schwarze Haare sprossen daraus hervor, während er unendlich viel größer wurde, als er zuvor gewesen war.
Luce bemühte sich, das Aufheulen zu unterdrücken, das in ihr aufstieg. Und sie schaffte es – so lange, bis Bills steinerne Augen, deren Iris vom grauen Star getrübt waren, so rot wie Glut aufleuchteten.
Dann schrie sie.
»Du hast immer die falsche Entscheidung getroffen.« Bills Stimme war gewaltig geworden, tief und verschleimt, und sie tat nicht nur in Luce’ Ohren weh, sondern in ihrer Seele. Sein Atem schlug ihr brutal entgegen und er stank nach Tod.
»Du bist …« Luce konnte ihren Satz nicht beenden. Es gab nur ein einziges Wort für die böse Kreatur vor ihr, und die Vorstellung, es laut auszusprechen, machte ihr Angst.
»Der Bösewicht?« Bill gackerte. »Überraschung!« Er zog den Ü- Laut des Wortes so stark in die Länge, dass Luce sich sicher war, dass er sich krümmen und husten würde, doch er tat es nicht.
»Aber … du hast mir so viel beigebracht. Du hast mir geholfen, herauszufinden … Warum solltest du … wie … die ganze Zeit?«
»Ich habe dich getäuscht. Das ist mein Job, Lucinda.«
Sie hatte Bill gern gehabt, so schurkisch und abstoßend er auch war. Sie hatte sich ihm anvertraut, hatte auf ihn gehört, hatte beinahe ihre Seele getötet, weil er es ihr gesagt hatte. Der Gedanke tat weh. Sie hätte wegen Bill beinahe Daniel verloren. Sie könnte Daniel vielleicht noch immer wegen Bill
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