Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
Das Grabmal war mit Zaubern und Beschwörungen verschlossen, einige davon dazu gedacht, die Toten auf ihrer Reise ins nächste Leben zu geleiten, und andere mit dem Ziel, jeden Lebenden abzuwehren, der sich zu nähern wagte. Selbst die Wachen, die sie hierher schleiften, schienen nervös zu werden.
Schon bald betraten sie ein pyramidenförmiges Grabmal aus getrockneten Lehmziegeln. Alle bis auf zwei Wachen blieben draußen am Eingang. Kafele stieß Luce durch einen dunklen Eingang und eine noch dunklere Treppe hinunter. Der andere Wachposten leuchtete ihnen mit einer Fackel den Weg.
Das Fackellicht flackerte auf den Steinmauern. Sie waren mit Hieroglyphen bemalt, und ab und zu sah Layla Passagen aus Gebeten an Tajet, die Göttin der Webkunst, die um Hilfe flehten, um die Seele des Pharaos während seiner Reise ins Jenseits zusammenzuhalten.
Alle paar Schritte kamen sie an Scheintüren vorbei – tiefen Steinnischen in den Wänden. Luce begriff, dass einige von ihnen einst Eingänge gewesen waren, die zu den letzten Ruhestätten von Mitgliedern der Königsfamilie führten. Sie waren jetzt mit Stein und Schotter versiegelt, damit kein Sterblicher passieren konnte.
Es wurde kühler auf ihrem Weg und es wurde dunkler. Die Luft wurde schwer vom Geruch des Todes. Als sie sich der einzigen offenen Tür am Ende des Flurs näherten, weigerte der Wachposten mit der Fackel sich weiterzugehen – »Ich werde mich nicht wegen der Frechheit dieses Mädchens von den Göttern verfluchen lassen« –, also tat Kafele es selbst. Er zerrte den steinernen Riegel beiseite, der die Tür verschloss, und ein strenger Essiggeruch kam herausgeströmt und verpestete die Luft.
»Hast du jetzt immer noch Hoffnung auf eine Flucht?«, fragte er, öffnete die Fesseln an ihren Händen und stieß sie hinein.
»Ja«, flüsterte Luce bei sich, als die schwere Steintür sich hinter ihr schloss und der Riegel wieder vorgeschoben wurde. »Nur eine.«
Sie war allein in völliger Dunkelheit und die Kälte griff nach ihr.
Dann hörte sie ein Schaben, das unverkennbare Geräusch von Stein auf Stein, und ein kleines goldenes Licht erschien in der Mitte des Raumes. Es lag in den hohlen Steinhänden von Bill.
»Hallo, hallo.« Er schwebte an eine Seite des Raumes und goss den Feuerball aus seinen Händen in eine reich bemalte Lampe aus rotem und grünem Stein. »So sieht man sich wieder.«
Während Luce’ Augen sich an das Licht gewöhnten, sah sie als Erstes die Schriftzeichen an den Wänden: Es waren die gleichen Hieroglyphen wie im Flur, nur dass es diesmal Gebete an den Pharao waren – »Verfaule nicht. Verwese nicht. Steig unter die unvergänglichen Sterne. « Da waren Truhen, die sich nicht schließen ließen, weil sie von Goldmünzen und funkelnden orangefarbenen Juwelen überquollen. Eine große Sammlung von Obelisken breitete sich vor ihr aus. Mindestens zehn einbalsamierte Hunde und Katzen schienen sie zu beäugen.
Die Kammer war riesig. Luce ging um eine Garnitur Schlafzimmermöbel herum, vervollständigt durch einen Schminktisch, der mit Kosmetikartikeln bestückt war. Da war eine Votivpalette mit zwei eingemeißelten Schlangenkopfpanthern. Die verschlungenen Hälse bildeten eine runde Vertiefung in dem schwarzen Stein, die leuchtend blauen Lidschatten enthielt.
Bill sah zu, wie Luce die große Palette in die Hand nahm. »Damit man auch im Jenseits gut aussieht.«
Er saß auf dem Kopf einer verblüffend lebensechten Skulptur des ehemaligen Pharaos. Laylas Verstand sagte Luce, dass diese Skulptur das ka des Pharaos darstellte, seine Seele, und dass sie über das Grab wachen würde – der echte Pharao lag mumifiziert dahinter. In dem Kalksteinsarkophag waren mehrere hölzerne Särge ineinandergefügt, und in dem kleinsten von ihnen lag der einbalsamierte Pharao.
»Vorsicht«, sagte Bill. Luce hatte nicht bemerkt, dass sie die Hände auf eine kleine Holztruhe gelegt hatte. »Da sind die Eingeweide des Pharaos drin.«
Luce riss die Hände zurück und zog den Sternenpfeil aus ihrem Kleid. Der Schaft wärmte ihre Finger. »Wird es auch wirklich funktionieren?«
»Wenn du gut aufpasst und tust, was ich sage«, erwiderte Bill. »Also, die Seele wohnt direkt im Zentrum deines Seins. Um sie zu erreichen, musst du die Spitze genau über die Mitte deiner Brust ziehen, genau im kritischen Moment, genau dann, wenn Daniel dich küsst und du spürst, wie du anfängst zu kochen. Dann wirst du, Lucinda Price, wie immer aus deinem früheren Ich
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