Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
den Schultern und begann ihn zu schütteln. Vorsichtig, sanft – er hatte schließlich Schlimmes durchgemacht. Aber doch genug, um ihn wissen zu lassen, dass sie ein Zeichen brauchte. Auf der Stelle.
»Daniel«, flüsterte sie. »Daniel?«
Da. Seine Lider begannen zu flattern. Sie stieß den Atem aus. Dann öffnete er langsam die Augen, so wie in der vergangenen Nacht. Und wie in der vergangenen Nacht traten sie aus ihren Höhlen, als sie das Mädchen vor ihm sahen. Seine Lippen teilten sich. »Du bist … alt.«
Luce errötete. »Das bin ich nicht«, erwiderte sie lachend. Niemand hatte sie je zuvor alt genannt.
»Doch, das bist du. Du bist wirklich alt.« Er wirkte beinahe enttäuscht. Dann rieb er sich die Stirn. »Ich meine … wie lange war ich …?«
Dann erinnerte sie sich: Lucia war mehrere Jahre jünger als sie. Aber Daniel hatte Lucia bisher noch nicht einmal kennengelernt. Wie konnte er wissen, wie alt sie war?
»Mach dir deswegen keine Sorgen«, erklärte sie. »Ich muss dir etwas sagen, Daniel. Ich bin … Ich bin nicht diejenige, für die du mich hältst. Ich meine, ich schätze, ich bin es, ich bin es immer, aber diesmal komme ich aus … ehm …«
Daniels Züge verzerrten sich. »Natürlich. Du bist hierher gereist.«
Sie nickte. »Ich musste.«
»Ich hatte es vergessen«, flüsterte er und verwirrte Luce damit noch mehr. »Wie weit bist du gereist? Nein. Sag es mir nicht.« Er winkte ab und wich vor ihr zurück, als hätte sie irgendeine Krankheit. »Wie ist das überhaupt möglich? Es gab keine Schlupflöcher in dem Fluch. Du solltest nicht hier sein können.«
»Schlupflöcher?«, wiederholte Luce. »Was für eine Art von Schlupflöchern? Ich muss wissen …«
»Ich kann dir nicht helfen«, unterbrach er sie und hustete. »Du musst es allein herausfinden. Das sind die Regeln.«
»Doria.« Eine Frau, die Luce noch nie gesehen hatte, stand in der Tür. Sie war nicht mehr ganz jung, blond und streng, mit einer gestärkten Haube vom Roten Kreuz, die so in ihr Haar gesteckt war, dass sie schief auf ihrem Kopf saß. Zuerst begriff Luce nicht, dass die Frau sie meinte. »Du bist doch Doria, nicht wahr? Unser Neuzugang?«
»Ja«, antwortete Luce.
»Wir müssen nachher den Papierkram für dich erledigen«, erklärte die Frau schroff. »Ich habe keine Unterlagen von dir. Aber zuerst wirst du mir einen Gefallen tun.«
Luce nickte. Es war nicht schwer zu begreifen, dass Schwierigkeiten auf sie zukamen. Aber sie hatte wichtigere Sorgen als diese Frau und ihren Papierkram.
»Der Schütze Bruno wird gleich operiert«, sagte die Krankenschwester.
»In Ordnung.« Luce versuchte, sich auf die Schwester zu konzentrieren, aber tatsächlich hatte sie nur eins im Sinn, nämlich ihr Gespräch mit Daniel fortzusetzen. Sie war endlich weitergekommen, hatte endlich ein neues Stück in dem Puzzle ihrer Leben gefunden!
»Schütze Giovanni Bruno. Er hat darum gebeten, die diensthabende Schwester von seiner Operation abzuziehen. Er sagt, er habe sich in die Krankenschwester verliebt, die ihm das Leben gerettet habe. Seinen Engel. « Die Frau warf Luce einen harten Blick zu. »Die Mädchen sagten mir, dass er dich damit meint.«
»Nein«, widersprach Luce. »Ich bin nicht …«
»Unwichtig. Es ist das, was er glaubt.« Die Schwester zeigte auf die Tür. »Gehen wir.«
Luce erhob sich von Daniels Bett. Er hatte den Blick von ihr abgewandt und schaute aus dem Fenster. Sie seufzte. »Ich muss mit dir reden«, flüsterte sie, obwohl er ihren Blick mied. »Ich werde gleich wieder da sein.«
Die Operation war nicht so schrecklich, wie sie es hätte sein können. Luce brauchte lediglich Giovannis kleine, weiche Hand zu halten, ihm Dinge zuzuflüstern, dem Arzt einige Instrumente anzureichen und zu versuchen, nicht hinzuschauen, als er in die dunkelrote Masse von Giovannis entblößten Eingeweiden griff und einzelne Teile eines blutverschmierten Schrapnells herausholte. Wenn der Arzt über ihren offensichtlichen Mangel an Erfahrung erstaunt war, so verlor er kein Wort darüber.
Sie war nicht länger als eine Stunde weg gewesen. Gerade lange genug, um zu Daniels Bett zurückzukehren und es leer vorzufinden.
Lucia wechselte die Laken. Sie eilte auf Luce zu, und Luce dachte, dass sie sie umarmen würde. Stattdessen brach sie zu ihren Füßen zusammen.
»Was ist passiert?«, fragte Luce. »Wo ist er hingegangen?«
»Ich weiß es nicht.« Das Mädchen begann zu weinen. »Er ist weg. Er ist einfach weggegangen. Ich
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