Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
durchschlagen hatte. Es war ein dummer Angriff gewesen; sie waren direkt in ihr Verderben gestürmt. Aber Daniel hatte sich nur für den Krieg gemeldet, weil Lucia Krankenschwester war, also war es gut so. Er rieb sich die Stelle, wo er getroffen worden war. Er konnte den Schmerz beinah so deutlich spüren, als sei es erst gestern geschehen.
Wenn Daniel lange genug geblieben wäre, dass die Wunde verheilen konnte, hätten die Ärzte über das Fehlen einer Narbe gestaunt. Heute war sein Hals glatt und makellos, als hätte ihn diese Kugel niemals getroffen.
Im Laufe der Jahre war Daniel geschlagen, geschunden und von Balkons gestoßen worden, man hatte ihm in den Hals, in den Bauch und ins Bein geschossen, ihn über heißen Kohlen gefoltert und ihn durch ein Dutzend Straßen geschleift. Aber eine genaue Musterung jedes Zentimeters seiner Haut würde nur zwei kleine Narben zutage fördern: Zwei feine weiße Linien über seinen Schulterblättern, wo seine Flügel sich entfalteten.
Alle gefallenen Engel bekamen diese Narben, wenn sie ihre menschlichen Körper übernahmen. In gewisser Weise waren die Narben alles, was sie vorzuweisen hatten.
Die meisten der anderen genossen ihre Immunität gegen Narben. Nun, bis auf Arriane, aber die Narbe an ihrem Hals war eine andere Geschichte. Doch Cam und selbst Roland würden mit so ziemlich jedem auf Erden die schrecklichsten Kämpfe ausfechten. Natürlich verloren sie gegen Sterbliche nicht, aber es schien ihnen zu gefallen, ein wenig zusammengeschlagen zu werden. In wenigen Tagen, das wussten sie, würden sie wieder makellos aussehen.
Für Daniel war eine Existenz ohne Narben nur ein weiterer Hinweis darauf, dass sein Schicksal nicht in seiner Hand lag. Nichts, was er jemals tat, hinterließ auch nur eine Delle. Die Last seiner eigenen Nutzlosigkeit war erdrückend – vor allem, wenn es um Luce ging.
Und plötzlich erinnerte er sich daran, sie hier gesehen zu haben, im Jahr 1918. Luce. Und er erinnerte sich daran, dass er aus dem Krankenhaus geflohen war.
Das war das Einzige, was eine Narbe hinterlassen konnte – auf seiner Seele.
Er war damals verwirrt gewesen, sie zu sehen, so wie er jetzt verwirrt war. Zu jener Zeit hatte er gedacht, dass es keine Möglichkeit gebe, wie die sterbliche Lucinda dies bewerkstelligen sollte – holterdiepolter durch die Zeit zu eilen und ihre alten Ichs zu besuchen. Keine Möglichkeit, dass sie überhaupt am Leben sein sollte. Jetzt wusste Daniel natürlich, dass sich mit dem Leben von Lucinda etwas verändert hatte, aber was war es? Es hing natürlich damit zusammen, dass sie nicht getauft war, das war aber nicht alles …
Warum kam er nicht dahinter? Er kannte die Regeln und Bestimmungen des Fluches so gut, wie er alles kannte. Wie konnte sich ihm die Antwort also entziehen …
Luce. Sie musste die Veränderung in ihrer eigenen Vergangenheit selbst bewirkt haben. Bei dieser Erkenntnis begann sein Herz zu flattern. Es musste während ihrer gegenwärtigen Flucht durch die Verkünder geschehen sein. Natürlich musste sie etwas verändert haben, um all dies möglich zu machen. Aber wann? Wo? Wie? Daniel durfte sich in nichts von alledem einmischen. Er musste sie finden, genau wie er es versprochen hatte. Aber er musste auch dafür sorgen, dass ihr zu tun gelang, was immer sie tun musste, dass sie die Veränderung in ihrer Vergangenheit bewirkte, die sie bewirken musste, damit Lucinda Price – seine Luce – ins Leben treten konnte.
Wenn er sie einholte, konnte er ihr vielleicht helfen. Er konnte sie zu dem Moment führen, in dem sie die Regeln des Spiels für sie alle veränderte. Er hatte sie in Moskau knapp verpasst, aber in diesem Leben würde er sie finden. Er musste nur verstehen, warum sie hier gelandet war. Es gab immer einen Grund, irgendetwas im Innern, in den Tiefen ihres Gedächtnisses …
Oh.
Seine Flügel brannten und er fühlte sich beschämt. Dieses Leben in Italien hatte einen dunklen und hässlichen Tod für sie bereitgehalten. Einen der schlimmsten. Er würde niemals aufhören, sich Vorwürfe wegen der entsetzlichen Art zu machen, wie sie aus diesem Leben geschieden war.
Aber das geschah Jahre nach diesem Tag. Dies war das Krankenhaus, in dem sie sich kennengelernt hatten, als Lucia so jung und liebreizend gewesen war, so unschuldig und kess zugleich. Hier hatte sie ihn sofort und ohne Vorbehalt geliebt. Obwohl sie zu jung gewesen war, als dass Daniel ihr hätte zeigen können, dass er ihre Liebe erwiderte, hatte er
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