Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
weiß nicht, wohin.« Sie schaute zu Luce auf und Tränen füllten ihre haselnussbraunen Augen. »Er hat mich gebeten, dir von ihm Auf Wiedersehen zu sagen.«
»Er kann nicht weg sein«, murmelte Luce leise. Sie hatten nicht einmal eine Chance gehabt, miteinander zu reden …
Natürlich hatten sie nicht die Chance dazu gehabt. Daniel hatte genau gewusst, was er tat, als er gegangen war. Er wollte ihr nicht die ganze Wahrheit sagen. Er verbarg irgendetwas. Was waren das für Regeln, die er erwähnt hatte? Und welches Schlupfloch?
Lucias Gesicht war gerötet. Ihre Worte wurden durch einen Schluckauf unterbrochen. »Ich weiß, ich sollte nicht weinen, aber ich kann es nicht erklären … Ich habe das Gefühl, als sei jemand gestorben.«
Luce kannte das Gefühl. Sie hatten dies gemeinsam: Wenn Daniel fortging, waren beide Mädchen untröstlich. Luce ballte die Fäuste und fühlte sich wütend und mutlos.
»Sei nicht kindisch.«
Luce blinzelte und dachte zuerst, das Mädchen habe mit ihr gesprochen, aber dann begriff sie, dass Lucia sich selbst ausschalt. Luce straffte sich und hielt ihre zitternden Schultern hocherhoben, als versuche sie, die Gelassenheit zu finden, die die Krankenschwestern gezeigt hatten.
»Lucia.« Luce streckte die Hände nach dem Mädchen aus und machte Anstalten, es zu umarmen.
Aber das Mädchen wich zurück und drehte sich von Luce weg zu Daniels leerem Bett. »Mir geht es gut.« Sie machte sich wieder daran, die Laken abzuziehen. »Das Einzige, was wir kontrollieren können, ist die Arbeit, die wir tun. Schwester Fiero sagt das immer. Der Rest liegt nicht in unserer Hand.«
Nein. Lucia irrte sich, aber Luce sah keine Möglichkeit, sie zu korrigieren. Luce verstand nicht viel, aber das verstand sie – ihr Leben konnte in ihrer Hand liegen. Sie konnte ihr eigenes Schicksal gestalten. Irgendwie. Sie hatte noch nicht alles herausgefunden, aber sie spürte, dass sie der Lösung näherkam. Wie sonst wäre sie überhaupt hierher gelangt? Wie sonst hätte sie jetzt wissen können, dass es Zeit war weiterzuziehen?
Im Licht des Vormittags fiel ein Schatten von dem Vorratsschrank in der Ecke. Er sah aus wie einer, den sie benutzen konnte, aber sie war sich ihrer Fähigkeiten, ihn heraufzubeschwören, nicht ganz sicher. Sie konzentrierte sich für einen Moment darauf und wartete, bis sie die Stelle sah, wo der Schatten sich bewegte.
Da. Sie beobachtete, wie er zuckte. Luce kämpfte gegen den Abscheu, den sie noch immer empfand, und packte ihn.
Auf der anderen Seite des Raums konzentrierte Lucia sich darauf, die Bettlaken zusammenzuknüllen, und gab sich alle Mühe, nicht zu zeigen, dass sie immer noch weinte.
Luce arbeitete schnell, formte den Verkünder zu einer Kugel und zog ihn dann mit den Fingern schneller auseinander, als sie es je zuvor getan hatte.
Sie hielt den Atem an, sprach im Geiste einen Wunsch und verschwand.
Vier
Die Zeit verwundet alles Heile
M AILAND, I TALIEN , 25. M AI 1918
Daniel war auf der Hut und gereizt, während er sich aus dem Verkünder befreite.
Er war nicht geübt darin, sich schnell einen Reim auf eine neue Zeit und einen neuen Ort zu machen, und er wusste nicht genau, wo er war oder was er tun sollte. Er wusste nur, dass zumindest eine Version von Luce in der Nähe sein musste und ihn brauchen würde.
Der Raum war weiß. Weiße Laken auf dem Bett vor ihm, ein weiß gerahmtes Fenster in der Ecke, blendend weißer Sonnenschein, der durch die Scheibe fiel. Für einen Moment war alles still. Dann stürmten die Erinnerungen auf ihn ein.
Mailand.
Er war wieder in dem Krankenhaus, wo sie während des ersten der todbringenden Weltkriege seine Krankenschwester gewesen war. Dort in dem Bett in der Ecke war Traverti, sein Kamerad aus Salerno, der auf dem Weg zur Feldküche auf eine Mine getreten war. Beide Beine Travertis waren verbrannt und gebrochen, aber er war so charmant, dass er alle Krankenschwestern dazu brachte, ihm flaschenweise Whiskey ins Zimmer zu schmuggeln. Er hatte immer ein fröhliches Wort für Daniel übrig gehabt. Und auf der anderen Seite des Raums lag Max Porter, der Brite mit dem verbrannten Gesicht, der niemals einen Piep von sich gab, aber alles zusammenschrie, wenn ihm der Verband gewechselt wurde.
In diesem Moment waren die beiden alten Zimmergefährten verloren in einem von Morphium herbeigeführten Nachmittagsschläfchen.
In der Mitte stand das Bett, in dem er gelegen hatte, nachdem ihn in der Schlacht an der Piave eine Kugel den Hals
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