Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
der Erkenntnis – dieses ›Oh, Daniels Qualen sind unendlich viel schrecklicher als meine‹ –, das du hier gewonnen hast. Je mehr du verstehst, umso mehr näherst du dich der Ursache des Fluches, und umso wahrscheinlicher ist es, dass du irgendwann einen Ausweg finden wirst. Richtig?«
»Ich – ich weiß es nicht.«
»Aber ich weiß es. Jetzt komm, du hast größere Rollen zu spielen.«
Daniels Teil des Fluches war schlimmer. Luce hatte das jetzt begriffen. Aber was bedeutete es? Sie hatte nicht das Gefühl, dass sie den Fluch bald würde brechen können. Die Antwort entzog sich ihr. Aber sie wusste, dass Bill in einem Punkt recht hatte: In diesem Leben konnte sie nichts mehr ausrichten. Sie konnte nur weiter zurückgehen.
Vierzehn
Der steile Abhang
G RÖNLAND , W INTER 1100
Der Himmel war schwarz, als Daniel hindurchschritt. Hinter ihm blähte sich das Portal wie ein zerfetzter Vorhang im Wind, verfing sich und riss sich selbst in Stücke, bevor es auf dem nachtblauen Schnee zerfiel.
Ihn überkam ein Frösteln. Auf den ersten Blick kam es ihm so vor, als sei hier überhaupt nichts. Nichts als arktische Nacht, die ewig zu dauern schien und am Ende nur einen winzigen Blick auf den Tag gewährte.
Jetzt erinnerte er sich: Diese Fjorde waren der Ort, an dem er und die anderen gefallenen Engel ihre Treffen abhielten: Nichts als ein trostloses Halbdunkel und strenge Kälte, ein Zweitagesmarsch nach Norden von der Sterblichensiedlung Brattahlí õ . Aber sie würde er hier nicht finden. Dieses Land war niemals ein Teil von Lucindas Vergangenheit gewesen, daher würde ihr Verkünder sie nicht hierher bringen.
Nur Daniel. Und die anderen.
Er zitterte und stapfte über Schnee und Eis auf einen warmen Schimmer am Horizont zu. Sieben von ihnen hatten sich um das leuchtend orangefarbene Feuer versammelt. Aus der Entfernung sah der Kreis ihrer Flügel wie ein riesiger Heiligenschein auf dem Schnee aus. Daniel brauchte ihre schimmernden Umrisse nicht zu zählen, um zu wissen, dass sie alle da waren.
Keiner von ihnen bemerkte, dass er sich ihrer Versammlung durch den Schnee näherte. Sie hatten immer jeder einen Sternenpfeil griffbereit, aber es war denkbar unwahrscheinlich, dass jemals ein ungeladener Besucher zu ihrer Ratssitzung erscheinen würde. Und sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, sich zu zanken, um den Anachronismus zu bemerken, der hinter einem eisbedeckten Felsblock kauerte und lauschte.
»Das ist doch nur Zeitverschwendung.« Gabbes Stimme war die erste, die Daniel erkennen konnte. »Es wird uns auch nicht weiterbringen.«
Gabbe verlor immer schnell die Geduld. Zu Beginn des Krieges hatte ihre Rebellion im Vergleich zu Daniels nur den Bruchteil einer Sekunde gedauert. Seitdem fühlte sie sich ihrer Seite zutiefst verpflichtet. Sie erfreute sich wieder der Huld des Himmels, und Daniels Zögern verstieß gegen alles, woran sie glaubte. Während sie um das Feuer herumging, schleiften die Federspitzen ihrer riesigen weißen Flügel hinter ihr durch den Schnee.
»Du bist diejenige, die dieses Treffen einberufen hat«, erinnerte sie eine leise Stimme. »Willst du es jetzt vertagen?« Roland saß auf einem kurzen schwarzen Stück Holzstamm einige Schritte vor der Stelle, wo Daniel hinter dem Felsbrocken hockte. Rolands Haare waren lang und ungepflegt. Sein dunkles Profil und seine marmorierten goldschwarzen Flügel glitzerten wie die sterbende Glut eines Feuers.
Es war alles genauso, wie Daniel es in Erinnerung hatte.
»Das Treffen, das ich einberufen habe, war für sie.« Gabbe hielt in ihrem rastlosen Auf und Ab inne und warf ihren Flügel herum, um auf die beiden Engel zu zeigen, die Roland gegenüber am Feuer saßen.
Arrianes schlanke, in allen Farben schillernde Flügel waren ausnahmsweise einmal still und ragten hoch über ihren Schulterblättern auf. Ihr Leuchten sah in der farblosen Nacht beinahe phosphoreszierend aus, aber alles andere an Arriane, angefangen von ihrem kurzen schwarzen Bob bis hin zu ihren bleichen, schmalen Lippen, wirkte entsetzlich ernst und gemessen.
Der Engel neben Arriane war ebenfalls stiller als gewöhnlich. Annabelle starrte mit leerem Blick tief in die Nacht hinein. Ihre Flügel waren von einem dunklen Silberton, beinahe stahlgrau. Sie waren breit und muskulös und wölbten sich schützend in einem breiten Bogen um sie und Arriane. Es war lange her, seit Daniel sie das letzte Mal gesehen hatte.
Gabbe blieb hinter Arriane und Annabelle stehen und schaute zur
Weitere Kostenlose Bücher