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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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auszuruhen tut Ihnen allen bestimmt gut.«
    Alexander baute sich vor ihm auf. »Wenn Sie uns etwas Gutes tun wollen, Dottore, dann sorgen Sie dafür, dass wir hier herauskommen. Dann kann ich auch wieder ruhig schlafen.«
    Der Arzt öffnete seine Tasche und sagte wie beiläufig: »Oh, das können Sie nach dieser Spritze auch, seien Sie versichert.«
    Die Waffen seiner Begleiter ließen den Gefangenen keine Wahl. Sie mussten ihre Oberarme frei machen und stillhalten, als der Arzt die lange Nadel in ihr Fleisch drückte. Für Enrico war es nur ein kurzer Schmerz, und das unangenehme Stechen in seinem Arm wurde schnell von einer wohligen Schwere verdrängt, die sich in seinem ganzen Körper ausbreitete. Dauerte es Minuten oder nur Sekunden, bis er keinen anderen Wunsch mehr verspürte als den, die Augen zu schließen und zu schlafen?
    Alles um ihn herum versank in einem dichten Nebel. Die Stimmen, die er hörte, klangen undeutlich, seltsam verzerrt, und sie schienen aus weiter Ferne zu kommen. So oft schon hatte Enrico den Schlaf gefürchtet, jetzt aber war es sein sehnlichstes Verlangen, in Morpheus’ Armen auszuruhen. Er schloss die Augen und merkte kaum noch, wie kräftige, sehr irdische Arme seinen zusammensackenden Körper auffingen und hinaus auf den Gang trugen.

20
    Enrico war in dem steinernen Labyrinth gefangen. Hinter ihm waren alle Brücken eingestürzt, gähnte der schwarze Schlund einer unermesslichen Tiefe. Und vor ihm lag der See. Noch war seine Oberfläche ruhig und glatt, aber Enrico wusste, was gleich geschehen würde. Nicht nur die ungewöhnliche Hitze, die der See auszustrahlen schien, trieb ihm den Schweiß aus allen Poren. In panischem Schrecken sah er sich nach allen Seiten um, aber jeder Fluchtweg war ihm versperrt. Er konnte nur abwarten, konnte nur auf das harren, was der See ausspucken würde. Hab keine Angst, mein Sohn, ich bin bei dir! Immer wieder diese Stimme in seinem Kopf! Sie versuchte, ihn zu beruhigen. Ohne Erfolg. Die Angst vor dem, was kommen würde, war stärker.
    Enrico blickte hinab auf den See, und der Wasserspiegel veränderte sich, kräuselte sich, schlug Wellen, und schließlich spritzte dampfende Gischt in die Höhe. Der Geflügelte erhob sich aus dem Wasser und bewegte sich wie schwebend auf Enrico zu. Enrico starrte in das ebenmäßige Antlitz, das sich bald in die hässliche Teufelsfratze verwandeln würde.
    Gleichzeitig wünschte er sich, dass es nicht geschehen möge.
    Konzentriere dich auf deinen Wunsch! Gemeinsam sind wir stark, können wir es schaffen!
    Enrico befolgte die Anweisung. Mit aller Kraft stellte er sich vor, dass ihm ein gutes Wesen gegenübertrat, kein Teufel oder Dämon. Es war anstrengend, und bald atmete er nur noch in kurzen, schnellen Stößen. Schweißtropfen rannen über sein Gesicht und brannten in seinen Augen. Er fühlte sich schwach, vollkommen ausgelaugt. Am liebsten hätte er sich einfach fallen gelassen und an gar nichts mehr gedacht. Aber er hielt durch, und auf einmal fiel es ihm leichter, sein Gegenüber anzusehen.
    Vor ihm stand der Geflügelte, ohne sich in einen Dämon zu verwandeln, und lächelte. Du machst das gut, ich bin stolz auf dich.
    »Ich bin stolz auf dich, Enrico, du hast deine Angst überwunden.«
    Das war nicht die Stimme in seinem Kopf. Er hörte sie richtig mit seinen Ohren. Als Enrico die Augen öffnete, waren der See und der Geflügelte verschwunden. Aber er schien sich noch immer in dem Felslabyrinth zu befinden. Die Decke über ihm bestand aus rohem Felsgestein. Die Wände hingegen waren mit Malereien verziert, wie Enrico sie ähnlich bereits gesehen hatte.
    Dies waren Wandbilder der Etrusker, und er fragte sich, ob er wieder in Borgo San Pietro war.
    »Wie geht es dir, Enrico?«
    Das war eine andere Stimme als die, die eben zu ihm gesprochen hatte. Die besorgte Stimme einer Frau. Neben dem niedrigen Feldbett, auf dem er lag, kniete Vanessa und sah ihn fragend an. Sein Blick wanderte weiter zu Tomás Salvati. Sein Vater. Es fiel Enrico nicht ganz leicht, das zu akzeptieren, nachdem er so viele Jahre ohne Vater gewesen war. Salvati gehörte die männliche Stimme, die eben zu ihm gesprochen hatte. Aber noch ein zweiter Mann stand an seinem Bett. Ein Mann, bei dessen Anblick Enrico sich sagte, dass dies nicht die Realität sein konnte. Träumte er nur, dass er aus seinem Traum erwacht war? War dies alles ein Trugbild, hervorgezaubert von dem Dämon aus dem See, um ihn in falscher Sicherheit zu wiegen?
    »Sie sehen

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