Engelsfluch
wurde.«
Alexander und Elena kämpften sich durch die Menge und konnten dank ihrer Presseausweise durch die Sperrkette der Uniformierten schlüpfen. Auf dem kleinen Platz vor der Kirche standen einträchtig ein Ambulanz- und ein Leichenwagen nebeneinander, als wollten sie sich den Leichnam teilen. Die letzten Strahlen der sinkenden Sonne, die noch über die umliegenden Hausdächer fielen, wurden vom bunten Glas der Kirchenfenster reflektiert, und das Licht blendete Alexander für einen Augenblick. Als er wieder sehen konnte, stand vor ihm ein wahrer Schrank von Carabiniere, ein Angehöriger der Motorradstaffel, der durch seinen dunkel glänzenden Helm noch martialischer wirkte. Die ausgebreiteten Arme des Polizisten waren für Elena und Alexander wie eine Mauer. »Durchgang verboten«, verkündete die Schwarzenegger-Version eines italienischen Polizisten.
»Presse«, entgegnete Elena und zückte ihren Ausweis.
»Das spielt keine Rolle.« Der Carabiniere blieb standhaft.
»Ich habe meine Anweisungen.«
»Wer hat Ihnen diese Anweisung gegeben?«, fauchte Elena.
»Commissario Donati!«
Die Antwort kam nicht von dem Carabiniere, sondern von Alexander. Er hatte es laut gerufen und winkte dem grauhaarigen Mann zu, den er im geöffneten Kirchenportal erspäht hatte. Als Donati ihn und Elena bemerkte, gab er dem Carabiniere einen Wink, die beiden durchzulassen.
»Ich habe doch gesagt, Presse!«, bemerkte Elena spitz zu dem Motorradpolizisten, bevor sie sich an ihm vorbeidrängte.
Zusammen mit Alexander ging sie zu Donati, der sich gerade von einer jungen Frau verabschiedete. Er begrüßte seine alten Bekannten knapp und blickte dann seiner Gesprächspartnerin hinterher. »Das ist meine junge Kollegin Micaela, Micaela Mancori. Sehr talentiert. Ich habe sie gebeten, sich unter den Leuten ein wenig umzuhören. Und wie ich sehe, ist der
›Messaggero‹ auch schon vor Ort. Dabei dachte ich, sämtliche Journalisten Roms treten sich zur Stunde die Füße im Vatikan platt.«
»Wir nicht«, erwiderte Alexander mit säuerlicher Miene.
»Unsere Chefredakteurin hält einen gekreuzigten Priester für interessanter als eine gespaltene Kirche.«
Donati zog die Brauen hoch. »Sie sind erstaunlich gut informiert. Da hat doch nicht jemand heimlich den Polizeifunk abgehört?«
»Von uns beiden war es keiner«, versicherte Alexander augenzwinkernd. »Wir sind beide katholisch. Was hat es nun mit diesem toten Priester auf sich? Und wie kommt es, dass ausgerechnet Sie mit diesem Fall betraut wurden?«
»Seit der Sache im Vatikan damals gelte ich bei unserer Polizeiführung als Spezialist für alles Klerikale, und ein gekreuzigter Priester fällt nun mal in diesen Bereich.«
»Also stimmt das mit der Kreuzigung?«, hakte Elena nach.
»Ja, es stimmt. Eine alte Frau kam in die Kirche, um zu beten. Als sie den toten Pfarrer sah, rannte sie schreiend nach draußen. Sie steht noch immer unter Schock. Zum Glück lief die Frau zwei Touristen in die Arme, die sich um sie kümmerten und die Polizei alarmierten.«
»Touristen bei Santo Stefane in Trastevere, wie ungewöhnlich«, wunderte Elena sich.
»Zwei beinharte Romfanatiker, die von der Kirche in irgendeinem obskuren Reiseführer gelesen haben«, erläuterte Donati.
»Ein deutsches Schriftstellerehepaar, das sich hier auf Bildungs- oder Recherchereise befindet. Aber sonst völlig harmlos. Sicherheitshalber habe ich die beiden dennoch zum Verhör bringen lassen. Vielleicht haben sie etwas Verdächtiges bemerkt, vielleicht sogar die Täter gesehen. Der Mord muss sich ereignet haben, kurz bevor Signora Ciglio die Kirche betrat.«
»Signora Ciglio?«, fragte Alexander.
»Die alte Frau, die den Toten entdeckt hat.«
»Hat sie die Mörder gesehen?«
»Vermutlich nicht, aber ganz genau können wir das noch nicht sagen. Der Schock war zu groß. Es ist kaum ein vernünftiger Satz aus ihr herauszubringen. Jetzt haben die Ärzte sie erst mal in den Klauen.«
Elena brannte eine Frage auf der Zunge, und sie ließ den Commissario kaum ausreden. »Woher wissen Sie, dass es mehrere Täter waren, wenn es bislang keinen Augenzeugen gibt?«
»Kommen Sie mit!«, lautete die lakonische Antwort. Donati wandte sich um und ging mit steifen, ungelenken Schritten in die Kirche. Seit vor acht Jahren eine Mafiabombe in Mailand seine Frau und seine beiden Kinder getötet hatte, war Donatis Leben nicht mehr dasselbe. Der gefürchtete Mafiajäger war zwar mit dem Leben davongekommen, aber die Bombe hatte
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