Engelsfluch
Vigilanza, die dem Bild einer modernen Polizeitruppe mehr entsprach als die Schweizergarde mit ihren althergebrachten Traditionen. Da die Vigilanza aus Italienern gebildet wurde, schien eine Aufstockung ihres Mannschaftsbestandes einfacher als die Rekrutierung von Schweizer Staatsbürgern, die den strengen Zugangsvoraussetzungen für die Aufnahme in die Schweizergarde entsprachen und dazu noch bereit waren, den harten Dienst für einen vergleichsweise kargen Sold zu verrichten. Als das bekannt wurde, war es in der Schweiz zu einer patriotischen Aufwallung gekommen, infolge deren sich so viele Männer um einen Posten bei der päpstlichen Garde bewarben, dass die großen Lücken rasch geschlossen werden konnten. Die Pläne zur Auflösung wurden daraufhin fallen gelassen, wohl auch, weil der neue Papst es nicht für ratsam hielt, zu schnell mit zu vielen Traditionen zu brechen. Die Menschen mussten ihre Kirche noch wiedererkennen, wenn sie ihr treu bleiben sollten. Der zweite Gardist trat in Alexanders Blickfeld, ein hoch gewachsener, schmaler Mann mit sehr ernstem Blick. Gardeadjutant Werner Schardt war kein enger Freund Alexanders gewesen, aber immerhin ein bekanntes Gesicht. Wegen seiner schweigsamen, zurückhaltenden Art hatten die Kameraden ihm den Spitznamen »der Asket«
verliehen.
»Alexander!«, staunte er, als Donati das Fenster herunterließ.
»Hallo, Werner! Eine Menge los bei euch. Das sieht mir mächtig nach Überstunden aus.«
Das Zucken, das Schardts schmale Lippen umspielte, vermochte Alexander nicht zu deuten. Es konnte ebenso gut ein Ausdruck der Erheiterung als auch des schmerzhaften Gedankens an viele zusätzliche Dienststunden sein.
»Weiß man schon, was es mit dieser Kirchenspaltung auf sich hat?«, fragte Alexander.
Schardt sah ihn missbilligend an. »Du weißt, dass wir über solche Fragen keine Auskunft erteilen dürfen. Überhaupt, was tust du hier? Der Presse ist der Zugang zum Vatikan nicht erlaubt.«
»Mir schon. Seine Heiligkeit hat nach mir gefragt und« –
Alexander zeigte auf seinen Begleiter – »Commissario Donati beauftragt, mich mitzubringen.«
»Habt ihr denn ein Visum?«, fragte Schardt zögerlich.
»Dazu ist kaum Zeit gewesen«, erwiderte Donati. »Ich habe den Anruf erst vor eineinhalb Stunden erhalten.«
»Und wer hat Sie angerufen, Commissario?«
»Don Luu.«
»Hm.«
Nach kurzem Zögern ging Schardt in das kleine Wachhäuschen und griff zum Telefon. Es dauerte keine Minute, und der Gardeadjutant gab seinem Kameraden einen Wink, den Wagen durchzulassen. Hinter dem Fiat hatte sich schon eine kleine Schlange von Fahrzeugen gebildet, deren vorderstes eine dunkle Limousine war. Bei einem Blick über die Schulter glaubte Alexander, auf dem Beifahrersitz einen Mann in der Kleidung eines Kardinals zu erkennen. Vermutlich trafen in diesen Stunden die katholischen Oberhirten aus allen Teilen der Welt im Vatikan ein, um über die Kirchenspaltung zu beratschlagen. Dementsprechend viele Autos waren hier geparkt. Während Donati mit Schrittgeschwindigkeit auf der Suche nach einem Abstellplatz über das Vatikangelände fuhr, bemerkte Alexander einen Helikopter, der jenseits des Petersdoms auf dem Hubschrauberlandeplatz niederging. Auf dem Damasushof stand ein uniformierter Gendarm der Vigilanza und spielte den Parkwächter. Donati folgte seinen Weisungen und quetschte den Tempra in eine enge Parklücke, die ihm und Alexander kaum Platz zum Aussteigen ließ. Der Gendarm eilte auf sie zu. »Die Herren Donati und Rosin?«
»Dieselben«, bestätigte der Commissario, während er den Wagen abschloss.
»Warten Sie bitte einen Augenblick hier, Sie werden abgeholt.«
Kaum hatte der Gendarm ausgesprochen und sich den anderen Fahrzeugen zugewandt, die einen Parkplatz benötigten, trat auch schon ein drahtiger Mann im schwarzen Priesteranzug aus dem Schatten des Apostolischen Palastes und kam ihnen mit schnellen Schritten entgegen. Schwarz glänzendes Haar umrahmte ein Gesicht, das durch die hohen Wangenknochen und die schmalen Augen einen deutlichen asiatischen Einschlag hatte. Alexander wusste von Henri Luu nur, dass ein Elternteil französisch und der andere vietnamesisch war. Luu war teils in Asien und teils in Europa aufgewachsen und hatte seine klerikale Karriere in Frankreich begonnen. Papst Custos war, bevor er nach Rom kam, unter seinem bürgerlichen Namen Jean-Pierre Gardien Erzbischof von Marseille gewesen.
Aus dieser Zeit kannte und vertraute er Luu, den er daher vor
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