Engelsfluch
lassen.«
»Laura meint, die Sache gebe mehr her. Wir sollen nach Trastevere und uns in Dottesios Gemeinde umhören. War der Ermordete beliebt oder nicht, hatte er viele Freunde oder vielleicht sogar Todfeinde? Und so weiter und so fort, das ganze Standard-Abc.«
»Dazu missbraucht Laura ihre Topvatikanistin?«
»Laura meint, bei einer Presseerklärung des Vatikans auf dem Hintern zu sitzen und zuzuhören wäre für uns Zeitverschwendung. Das könne Emilio ebenso gut.«
»Da hat sie nicht ganz Unrecht. Fast wird sie mir wieder sympathisch. Aber wenn …«
Das helle Läuten der Türglocke unterbrach ihn, und die beiden sahen sich fragend an, jeder von demselben Gedanken bewegt: Wer konnte das zu dieser frühen Stunde sein?
Achselzuckend stand Alexander auf und drückte auf den Türöffner. Da es in Elenas gemütlicher Dachwohnung auf dem Gianicolo keine Gegensprechanlage gab, blieb ihnen nichts anderes übrig, als auf ihren unangemeldeten Gast zu warten.
»Vielleicht die Post?«, überlegte Alexander laut. »Wer immer da die Treppe raufkommt, lässt sich Zeit. Das könnte ein Beamter sein.«
»Nicht zu dieser frühen Stunde«, wandte Elena ein.
»Da hast du auch wieder Recht.«
Als im Treppenhaus Schritte zu hören waren, zog Alexander die Tür auf.
»Doch ein Beamter, und was für einer!«, entfuhr es ihm, als Stelvio Donati auf dem kleinen Treppenabsatz erschien. »Lässt Sie der tote Priester nicht schlafen, Commissario?«
»So kann man’s sehen«, brummte der Kriminalkommissar, der übernächtigt aussah. Bartstoppeln, Schatten unter den Augen und eine äußerst lässig geknotete Krawatte ließen ihn ein wenig wie Lieutenant Columbo aus dem Fernsehen aussehen. Elena lud ihn auf einen Cappuccino und ein Marmeladehörnchen ein, und Donati setzte sich dankend zu ihnen an den Tisch. Nachdem er gegessen hatte, blickte er Alexander an und sagte: »Würden Sie mich in den Vatikan begleiten?«
»Ich würde gern, aber ich darf nicht«, antwortete Alexander und erzählte von dem Auftrag, den er und Elena eben von Laura Monicini erhalten hatten. »Wir müssen uns also um den toten Priester kümmern. Sie offenbar nicht, Commissario.«
»Doch, ich auch. Und ich bin gebeten worden, Sie mitzubringen, Alexander.«
»Mich? Wer hat Sie darum gebeten?«
Donati beugte sich über den Tisch und sagte leise, als befürchte er, abgehört zu werden: »Seine Heiligkeit, der Papst.«
Eine Viertelstunde später saß Alexander neben Donati in dessen Wagen und fragte sich voller Spannung, was sie im Vatikan erwarten würde. Donati hatte nur gesagt, er habe einen Anruf aus dem Vatikan erhalten, von Henri Luu, dem Privatsekretär des Papstes. Seine Heiligkeit hatte den Wunsch geäußert, den in der Mordsache Dottesio ermittelnden Commissario so schnell wie möglich zu sprechen, und er solle nach Möglichkeit Alexander Rosin mitbringen. Alexander war gespannt auf die Unterredung, und er bedauerte Elena, die sich zähneknirschend allein auf den Weg nach Trastevere gemacht hatte. Überall auf den Straßen rund um den Vatikan hatte die römische Polizei seit gestern eilig Absperrungen errichtet. Die Nachricht von der Kirchenspaltung lockte Scharen von Journalisten an, von Kamerateams und Übertragungswagen. Um dem Ansturm einigermaßen Herr zu werden, hatte die Polizei alle Zufahrtsstraßen zum Vatikan für den Privatverkehr gesperrt.
Auch Donati wurde dreimal angehalten, aber sein Dienstausweis räumte ihnen den Weg frei. Der Petersplatz tauchte vor ihnen auf. Tausende von Menschen hatten sich dort versammelt, warteten und bangten, was aus ihrer Kirche werden würde und aus ihrem neuen Papst, in dessen liberale Gesinnung viele Menschen ihre Hoffnung gesetzt hatten. Donati lenkte den Fiat Tempra zur Porta Sant’ Anna, einem der drei Eingänge zum Vatikan. Zwei Schweizergardisten in ihren blauen Alltagsuniformen mit den dunklen Baretts bewachten das Tor.
Noch vor wenigen Monaten hatte auch Alexander diese Uniform getragen, hatte ebenfalls Wachdienst an der Porta Sant’
Anna geschoben, doch es schien ihm eine kleine Ewigkeit her zu sein. Den jüngeren der Gardisten kannte Alexander nicht. Die Aufdeckung der Verschwörung gegen den Papst, in die viele Mitglieder der Garde verwickelt waren, hatte zu einem wahren Aderlass bei der Wachtruppe geführt. Ja, man hatte sogar überlegt, ob die Schweizergarde der Päpste nicht ganz aufgelöst werden solle. Immerhin verfügte der Vatikan noch über eine zweite Schutzmannschaft, die
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