Engelsfluch
Schrecken versetzt wurde, wenn sie nicht mehr nach Hause zurückfand.
Nachdem sie es also wieder geschlossen hatte, saß sie auf und brauste mit Deacon zu Tims Hütte, zumindest so nah heran, wie es die herumstehenden Schrottberge zuließen. Drinnen brannte Licht. »Er ist zu Hause.« Sara nahm den Helm ab und hängte ihn an den Lenker. Deacon tat es ihr gleich.
»Mir gefällt das nicht.« Er sagte es ganz ruhig, sein Blick aufmerksam, während sie sich durch eine Lücke im Schrott bis zu einer vergleichsweise freien Fläche vor Tims Hütte durcharbeiteten. »Irgendetwas ist hier faul.«
Ihre Instinkte gaben ihm recht. »Lass uns einmal herumgehen, um sicherzustellen, dass …« Auf einmal sah sie sie. Vampire. Sie lauerten auf Autowracks, standen zwischen Metalltürmen, lehnten an Tims Hütte.
Sara wusste, dass es diesmal kein Entkommen gab. »Wir müssen versuchen, ins Haus zu kommen.« Das war ihre einzige Chance, sich zu verteidigen. Ihre Armbrust hatte sie bereits gezückt.
»Darauf sind sie vorbereitet.« Er stellte sich so, dass sein Rücken gegen den ihren lag.
»Es sei denn, Tim hat sich darin verbarrikadiert.«
Deacon antwortete nicht, doch sie wusste, was er tat. Lauschen. Sollte Tim tatsächlich am Leben und in seiner Hütte sein, würde er ihnen ein Zeichen geben. Doch es war Lucy, die sie plötzlich kurz bellen hörten. Danach war wieder alles still. Ein Vampir in Saras Nähe fluchte so laut, dass sie es hören konnte. »Der Scheißköter hat mir das halbe Bein abgebissen.«
Die Worte hörten sich vielleicht gewöhnlich an, aber der Vampir, aus dessen Mund sie kamen, war alles andere als gewöhnlich. Jahrhundertelange Erfahrung stand ihm ins Gesicht geschrieben und er bewegte sich wie jemand, der jede Situation zu seinem Vorteil zu nutzen wusste. Doch trug er keine Waffen bei sich. Mangelnde Fairness konnte man den Erzengeln nicht nachsagen. Wenngleich sie für Fairness ihre ganz eigenen Kriterien anlegten: zwei, gegebenenfalls drei Jäger gegen ungefähr fünfzehn Vampire.
»Jemand hat den Einsatz erhöht«, murmelte Sara kaum hörbar.
»Ich erkenne keinen von ihnen wieder, nicht einmal den Alten da. Anscheinend gehören sie nicht zu Raphael.«
Ihr war das Gleiche durch den Kopf gegangen. »Schön zu wissen, dass mir wenigstens nicht mein eigener Erzengel nach dem Leben trachtet.« Sie richtete ihre Armbrust auf den Anführer der Gruppe. »Zeit für ein paar Zielübungen.«
Der Vampir lächelte höflich. »Ich begehre nur ein winziges Schlückchen, Mylady.« In seiner Stimme schwangen Galanterie und Grausamkeit zugleich mit. »Es heißt, Gildedirektoren hätten einen ganz besonders köstlichen Geschmack.«
Da sie sich kaum vorstellen konnte, dass Simon jemanden an sich hatte knabbern lassen, beschloss sie, ihm nur bedingt zu glauben. »Sind Sie denn schon so ausgetrocknet?« Vorsichtig bewegte sie sich auf das Haus zu. Deacon blieb dicht an ihrer Seite.
Die Vampire hielten sich auf Abstand … vorläufig zumindest.
»Sie tun mir weh, petite guerrière .«
Kleine Kriegerin? Allein dafür verdiente er, erschossen zu werden. »Soll ich Ihnen einen Chip verpassen?«
»Lügen, süße Lügen.« Tadelnd hob er den Zeigefinger. »Chips dürfen Sie nur auf einer autorisierten Jagd benutzen. Wenn Sie illegale Imitate benutzen, dürfen Sie nicht mehr Direktorin werden.«
Verflucht. Eigentlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass er auf ihren Bluff hereinfiel, doch seine Reaktion zeigte ihr, dass er nicht dumm war. Nicht dumm und alt war bei einem Vampir keine gute Kombination, jedenfalls nicht, wenn man ihm als Gegner gegenüberstand. »Noch einen Schritt und ich werde Ihnen einen Bolzen durch die Brust jagen, und dann sind Sie mir hilflos ausgeliefert.«
Mit gespielter Verzweiflung breitete der Vampir die Hände aus. »Leider habe ich meine Befehle. Mein Meister glaubt nicht, dass eine Frau eine Gilde von Kriegern anführen kann.«
»Es gibt doch auch weibliche Erzengel.« Sara spürte, wie sich Deacons Körper spannte, bereit zum Kampf.
»Ah, aber Sie sind kein Erzengel.« Und dann sprang er los.
Sara und Deacon reagierten in derselben Sekunde. Sie bewegten sich in perfektem Einklang, als hätten sie jahrelang nichts anderes getan. Sara scherte seitlich aus, schoss den Anführer in die Schulter – verdammt, sie hatte auf seinen Kopf gezielt –, und konnte dank Deacons patentierter Technik in Windeseile nachladen. Deshalb liebten die Jäger diese Waffe auch so sehr. Es gelang ihr, noch
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