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Engelsfuerst

Engelsfuerst

Titel: Engelsfuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Fahrt gewesen, wegen des Unwetters
viel langwieriger als erwartet. Mehrere Unfälle hatten
zu Engpässen auf der Autobahn geführt. Zeitweise hatte man kaum die Straße vor der Motorhaube sehen
können, und zweimal war ihnen wirklich nichts anderes übriggeblieben, als auf dem Standstreifen zu halten
und zu warten, bis die Sicht besser wurde. Orvieto,
Montevarchi und Florenz hatten sie hinter sich gelassen. Vor fünfzehn Minuten waren sie von der Autobahn abgefahren, jetzt folgten sie einer wenig frequentierten Landstraße, die allmählich bergauf führte.
»Da vorn kommt eine Gabelung«, sagte Alexander
zu Elena, die eine Straßenkarte auf ihren Knien ausgebreitet hatte. »Rechts oder links?«
    »Fahr mal langsamer, ich kann es nicht genau erkennen.«
Elena ließ den Lichtkegel einer Taschenlampe über
die Karte gleiten. »Links, glaube ich.«
»Glauben ist gut, Wissen ist besser.«
»Verdammt, Alex, deine Karte ist uralt. Die Straße,
auf der wir sind, ist darauf noch als im Bau befindlich
markiert. Wie soll ich da wissen, ob die sich beim Bau
der Straße nach Frana für rechts oder links entschieden haben?«
»Okay, nur keinen Streit«, seufzte Alexander.
»Fahren wir also nach links!«
»Versuch es.« Elena klang immer noch gereizt.
»Von der Richtung her müßte es passen.«
Alexander schwieg und lenkte den Peugeot nach
links. Er verstand nur zu gut, daß Elena nicht bei bester Laune war. Die Fahrt war überaus anstrengend
gewesen, obwohl sie sich hinter dem Lenkrad abgewechselt hatten. Der Schmerz, der seit dem Kampf am
Tiberufer in seinem Kopf pochte, war stärker geworden. Vielleicht ging es Elena ähnlich. An ihrem Hinterkopf prangte noch das Pflaster; es ähnelte dem auf
seiner Stirn. Auf einmal fing er laut an zu lachen.
Elena sah ihn irritiert an. »Was hast du? Soll ich
dich ablösen?«
»Nicht nötig, das letzte Stück schaffe ich auch noch.
Ich mußte nur gerade daran denken, was für einen Anblick wir bieten. Zwei Kopfkranke mitten im dicksten
Gewitter auf der Suche nach einem Bergdorf, das auf
der Landkarte nicht größer ist als ein Fliegenschiß.«
Elena tippte auf das Papier. »Auf dieser Karte ist es
kleiner als ein Fliegenschiß.«
Dann lachte auch sie, und das tat Alexander gut. Er
hatte schon lange nicht mehr mit ihr zusammen gelacht. Für kurze Zeit kehrte die unbeschwerte Heiterkeit zurück, die früher zwischen ihnen selbstverständlich gewesen war.
Vor ihnen tauchte ein Gasthaus auf, dessen trübe
Leuchtreklame mit den grünen Buchstaben »TRATTORIA« sich anstrengte, das Dämmerlicht zu durchdringen.
»Da fragen wir nach dem Weg«, entschied Alexander. »Außerdem merke ich plötzlich, wie mein Magen
knurrt.«
»Du täuschst dich, das ist meiner!«
Alexander lenkte den Peugeot auf den schmalen
Schotterstreifen zwischen Straße und Trattoria. Außer
ihnen parkte hier niemand. Eilig stiegen sie aus und
liefen durch den Regen unter das Vordach. Der muffig
riechende Gastraum war vollkommen leer. Aus einem
Radio dudelte leise eine alte Schnulze von Adriano
Celentano, aber durch das Unwetter kam es unentwegt zu atmosphärischen Störungen.
»Man scheint hier nicht gerade auf Gäste zu warten«, stellte Alexander fest.
»Wieso sollten sie?« fragte Elena. »Bei dem Wetter
muß man doch ein Idiot sein, um draußen rumzulaufen.«
»Oder Journalist.«
Alexander ging zu einer Verbindungstür, neben der
das Radio auf einem Wandregal stand, und drehte
dem tapfer gegen das Knistern und Knacken ansingenden Celentano den Saft ab. Keine fünf Sekunden
später wurde die Tür geöffnet, und eine kleine, rundliche Frau mittleren Alters musterte erst ihn und dann
Elena. Ihr rundes Gesicht wirkte verkniffen, sie schien
über die unerwarteten Gäste nicht gerade erfreut.
»Was wünschen Sie?«
Alexander versuchte es mit einem Lächeln. »Etwas
zu essen und zu trinken, Signora.«
»Jetzt?«
»Wieso nicht? Sie haben doch geöffnet!«
Die Wirtin schüttelte den Kopf, und ihre altmodisch frisierten Locken flogen von einer Seite zur anderen. »Bah, geöffnet, na und? Hören Sie nicht den
Donner, sehen Sie nicht die Blitze?«
»Schon eine ganze Weile. Wir kommen aus Rom
und haben den halben Tag auf der Autobahn verbracht. Deshalb sind wir ja so ausgehungert.«
»Aber es gewittert!«
»Ja, und?« fragte Alexander hilflos.
Die Wirtin riß beide Arme hoch. »Dio mio, Sie
können doch bei einem Gewitter nichts essen!«
»Wer sollte etwas dagegen haben?«
»Er«, sagte die Frau nur und blickte

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