Engelsfuerst
andächtig nach
oben. » Er zürnt den Menschen und schickt ihnen deshalb das Unwetter. Den Schläfer laß schlafen, den
Fresser schlag tot! Das hat schon meine Mutter gesagt,
wenn es blitzte und donnerte.«
»Ich denke, das Risiko nehmen wir auf uns. Wir
haben wirklich Hunger, Signora.«
»Also schön«, seufzte sie und tat augenrollend ihre
Mißbilligung kund. »Aber warme Küche gibt’s heute
nicht. Außer Ihnen wird niemand mehr kommen. Da
lohnt es sich nicht, Ofen und Herd anzumachen.«
»Hauptsache, etwas zu essen«, seufzte Alexander.
Fünf Minuten später brachte die Wirtin einen Tomaten-Mozarella-Salat und Weißbrot. Beides war
nicht mehr taufrisch, aber sie aßen trotzdem mit großem Appetit. Als die Wirtin mit den Getränken zurückkehrte, erkundigte Alexander sich nach dem Dorf
Frana.
»Sie sind auf dem richtigen Weg, Signore«, sagte die
Frau, und Elena warf ihm einen triumphierenden
Blick zu. »Die Straße noch etwa zwei Kilometer weiter, dann rechts ab zur Bergstraße. Die führt direkt
nach Frana.« Neugier blitzte in ihren kleinen Augen
auf. »Was wollen Sie denn da?«
»Wir suchen den früheren Erzbischof von Florenz,
Egidio Guarducci. Er soll in Frana leben. Stimmt
das?«
»Hm, nicht so direkt.«
Alexander legte verwirrt den Kopf zur Seite. »Könnten Sie mir das etwas genauer erklären, Signora?«
»Seine Exzellenz, der Erzbischof, wohnt in einem
Haus am Berg, oberhalb von Frana. Er lebt sehr zurückgezogen. Es heißt, es geht ihm gesundheitlich
nicht so besonders. Die meisten Leute im Dorf haben
ihn schon seit Jahr und Tag nicht mehr gesehen. Die
Besorgungen erledigt seine Haushälterin, Signora Ferzetti, eine nette Frau.«
»Wie kommt man zu seinem Haus?«
»Kurz vor Frana, bei einer leerstehenden Tankstelle, führt ein kleiner Weg nach rechts, den Berg hoch.
Er endet am Haus des Erzbischofs.«
Alexander bedankte sich bei der Wirtin und sagte
zu Elena: »Damit hat sich unser Besuch hier doch
schon gelohnt. Die Signora erspart uns ein lästiges
Herumsuchen in Frana.«
Als sie die Trattoria verließen, folgte ihnen der neugierige Blick der Wirtin. Am liebsten, das sah Alexander ihr deutlich an, hätte sie die beiden Fremden gefragt, was sie von Erzbischof Guarducci wollten, aber
sie traute sich nicht.
Draußen tobte das Unwetter unvermindert heftig,
und sie beeilten sich, ins Auto zu kommen. Elena saß
schneller im Wagen als Alexander, weil sie den kürzeren Weg hatte. Als er die Fahrertür aufzog, schoß ein
schwarzer BMW mit einer Geschwindigkeit, die angesichts der Witterungsverhältnisse an Todesverachtung
grenzte, in Richtung Frana an ihnen vorbei. Wasser
spritzte hoch und durchnäßte Alexanders Hose. Aber
das bemerkte er kaum. Denn als der BMW an ihm
vorbeizog, spaltete ein weiterer Blitz den Himmel,
und in dem gleißenden Licht konnte er für Sekundenbruchteile das Gesicht des Beifahrers sehen. Ein kantiges Gesicht mit einer schwarzen Klappe dort, wo das
rechte Auge hätte sein sollen.
Alexander warf sich auf den Fahrersitz, knallte die
Tür zu und führte mit fliegenden Fingern den Zündschlüssel zum Schloß. So hastig, daß er ihn erst beim
dritten Versuch einführen konnte. Während der Motor stotternd anlief, verschwanden die Rücklichter des
BMW hinter einem Regenschleier.
»Was hast du, Alex?« fragte Elena. »Du bist ganz
bleich!«
»Der Wagen eben«, antwortete er erregt und beschleunigte so heftig, daß die Räder durchdrehten.
»Das waren die Killer vom Tiberufer!«
»Bist du sicher?«
»Auf dem Beifahrersitz saß der Mann, dem ich das
Auge ausgestochen habe«, antwortete Alexander und
brachte den Peugeot endlich zurück auf die Straße, wo
er das Gaspedal durchtrat. »Wir müssen vor ihnen bei
Guarducci sein!«
24
San Gervasio
E
nrico fühlte sich leer, ausgebrannt.
Ja, das war das richtige Wort. Nur vage entsann er sich der vergangenen Stunden, als hätten die
Flammen jenes seltsamen inneren Feuers seine Erinnerungen getilgt. Er war ein Gefangener, aber er sah sich
an zwei Orten gleichzeitig.
Einmal lag er in einem unterirdischen Kerker, im
Keller eines Glockenturms, wie ihm ein zurückkehrendes Bruchstück seiner Erinnerungen sagte.
Dann wieder sah er sich in einem anderen, von Tageslicht durchfluteten Raum. Doch auch von hier
konnte er nicht entkommen, weil seine Arme und
Beine mit Lederschnüren gefesselt waren.
Jemand stand vor ihm und sprach zu ihm, nannte
ihn dabei nicht Enrico, sondern – Vel …
»Du mußt uns beistehen,
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