Engelsfuerst
Vel«, sagte Larth. »Es ist
wichtig für unser Volk, überlebenswichtig. Nur so
können wir verhindern, daß die Römer uns aufsaugen,
wie ein Schwamm das Wasser aufsaugt. Sie nehmen
uns alles, die Sprache, die Sitten, die Götter. Dafür
stülpen sie uns ihre römischen Bräuche über, erklären
uns zu Angehörigen ihres Reiches. Aber sie verweigern uns die Rechte, die sie für sich in Anspruch nehmen. Kannst du damit wirklich leben, Vel?«
Larth sah seinen Gefangenen eindringlich an. Ein
fanatisches Glühen lag in seinem Blick, und die frische
Narbe auf seiner Stirn verstärkte den Eindruck eines
gefährlichen, zu allem entschlossenen Eiferers noch.
»Was ist mit Larthi?« Vel hatte die Geliebte nicht
mehr gesehen, seit Larth sie beide einige Stunden zuvor hatte in Gewahrsam nehmen lassen. »Ist sie bereit,
dir zu helfen?«
»Sie ist störrisch, wie nur eine Frau es sein kann.
Deshalb brauche ich dich, Vel. Wenn du an meiner
Seite stehst, wird auch Larthi sich zum Kampf gegen
Rom entschließen. Der Tochter der Weißen Göttin
wird die Mehrheit von uns folgen, und wir werden die
Römer aus unseren Städten und von unserem Land jagen!«
»Die Römer sind nicht so einfach zu besiegen. Sie
sind wahre Meister der Kriegskunst.«
»Wir werden nicht nur mit Schwert und Lanze
kämpfen, sondern mit der Macht unserer Ahnen!
Wenn wir drei – du, Larthi und ich – zusammenstehen, werden wir die Flamme entfachen, von der die
Überlieferungen unserer Väter sprechen. Der Tempel
der Ahnen ist nicht weit von hier, das weißt du.«
»Aber die Überlieferungen warnen davor, die
Flamme zu entfachen. Sie sprechen von einer großen
Gefahr für alle Menschen. Eben deshalb ist der Tempel der Ahnen ein verbotener Ort!«
Larth lächelte wissend.
»Er ist vor allen Dingen ein verlassener Ort, aber
keiner, vor dem man sich fürchten muß.«
Vel spürte, wie er blaß wurde, als er erfaßte, was
Larth da gesagt hatte.
»Du … du warst da?«
Larth nickte. »Ich habe den Tempel gefunden und
sein Innerstes betreten. Ein erhabener, beeindruckender Ort, aber keiner, vor dem man Angst haben müßte. Wie du siehst, lebe ich noch. Aber ich habe die
Macht gespürt, die dort schläft und darauf wartet, erweckt zu werden. Von uns!«
Bei den letzten Worten faßte Larth ihn an den
Schultern, so fest, daß es fast schmerzte.
Vor Vel formte sich das Bild römischer Legionäre,
die, nicht wissend, wie ihnen geschah, in einem Feuersturm vergingen. Ein Feuer, das sie in Asche verwandelte und ihre Schwerter und Rüstungen schmelzen ließ. Ein Feuer, das durchs ganze Land fegte und
es von der Herrschaft Roms auf alle Zeit befreite.
Er schüttelte sich, als ihm klar wurde, daß Larths
Gedanken in seinem Kopf waren. Larth, der ihn mit
weit geöffneten Augen und starrem Blick ansah, war
dabei, ihm seinen Willen aufzuzwingen.
Vel kämpfte dagegen an. Er schloß die Augen und
mobilisierte die Kraft, die tief in ihm schlummerte.
Ganz so, wie sein vor kurzem verstorbener Vater es
ihn einst gelehrt hatte. Erst war es nur ein leichtes
Kribbeln, das seine Brust und dann jede Faser seines
Körpers erfaßte. Das Kribbeln verwandelte sich in ein
Brennen, das stärker und stärker wurde, und als er die
Augen wieder öffnete, sah er Schweißperlen auf
Larths Stirn.
Larth keuchte schwer, ließ Vels Schultern los und
erhob sich schwankend.
Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn
und wischte den Schweiß an seiner Tunika ab.
»Laß es Vel, einstweilen hast du gewonnen. Ich bin
noch zu schwach für einen Zweikampf, habe mich bei
meinem Vater verausgabt. Außerdem möchte ich
nicht gegen dich kämpfen, sondern mit dir. Denk an
das, was du eben gesehen hast, Vel. Wenn wir zusammenstehen, kann es Wirklichkeit werden!«
Auch Vater Tommasio hatte Enricos Schultern losgelassen, um ihn aus geweiteten Augen anzusehen. Ein
Blick, in dem sich Erschrecken mit etwas anderem
mischte: Freude, Triumph.
»Du bist stark, Enrico, das ist gut! Horch in dich
hinein, erforsch deine Kräfte! Ich werde zurückkehren und dich vor die Wahl stellen, vor die Vel von
Larth gestellt wurde: mit mir oder gegen mich zu sein.
Wenn du klug bist, wirst du dich für mich entscheiden.«
Dann hatte Tommasio den Kerker verlassen, viele
Stunden war das jetzt her.
Stunden, während derer Enrico sich zu erholen
suchte. Von der Schwäche, die seinen Körper nach
dem inneren Feuer erfaßt hatte, und von seiner Angst
– der Angst vor sich selbst.
Seit zwei Jahren wußte
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