Engelsfuerst
des Abts lag eine seltsame Mischung
aus Respekt und Verachtung.
»Was wollen Sie von mir?«
Tommasio zeigte auf Enricos verbundenen Fuß.
»Heile deinen Schmerz, Enrico! Wozu schlummern
Mächte in dir, von denen andere Menschen nur zu
träumen wagen?«
»Jedenfalls nicht, um bei mir angewendet zu werden. Ich habe das noch nie getan, und ich bin davor
gewarnt worden, weil es mehr schaden als nützen
kann.«
»Ach! Wer hat dich gewarnt, dein Vater vielleicht?«
Als Enrico schwieg, fügte der Abt hinzu: »Ich weiß
viel mehr von dir, als du glaubst. Natürlich weiß ich
auch, daß dein Vater Tomas Kardinal Salvati ist, seit
zwei Jahren besser bekannt als Papst Lucius IV. Wenn
es dir lieber ist, nennen wir ihn einfach den Sohn des
Erzengels Uriel!«
»Wozu dieses Geplänkel, wenn Sie sowieso schon
alles wissen?« schnaubte Enrico.
»Weil ich auf deine Hilfe angewiesen bin, Enrico.
Deshalb habe ich dich nach San Gervasio geholt. Ich
wollte mehr über dich herausfinden und dich für unsere Sache gewinnen. Allerdings habe ich nicht geahnt,
daß du hier auf eine frühere Inkarnation deiner selbst
treffen würdest. Das hat uns beide überrascht und
meine Pläne durcheinandergebracht. Aber sei es drum,
du bist hier, das allein zählt. Deine Kräfte werden mir
helfen, das Engelsfeuer zu entfachen. Vor zweitausend
Jahren scheinst du es schon einmal getan zu haben.«
»Das Engelsfeuer? Was ist das?«
Tommasio ließ sich vor ihm nieder, so daß sein Gesicht dicht vor dem Enricos war.
»Daran wirst du dich erinnern, Vel ! Denk an Larthi
und ihren Bruder Larth und an das, was nach dem
Tod von Laris geschah! Erinnere dich, Vel !«
»Totus tuus, Domine. Hic iacet pulvis, cinis et nihil.
Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa.«
Schlag auf Schlag riß die Geißel Wunden in seinen
Rücken, aber er spürte den Schmerz längst nicht
mehr. Während er mechanisch die Geißel schwang
und unaufhörlich dieselben lateinischen Sätze wiederholte, war Francesco in eine Trance verfallen, die ihn
in seine Kindheit zurückversetzte.
Auch hier gab es Schläge, wieder und wieder, aber
nicht er teilte sie aus, sondern ein Mann mit kräftigen
Händen und lauter Stimme, sein Vater. Manchmal
wußte Francesco nicht, was er mehr fürchtete, die
Schläge oder das Gebrüll seines Vaters, die Flüche, mit
denen er Francesco und seine Mutter überschüttete.
Darunter waren immer wieder Ausdrücke, die Francesco fremd waren, und doch wußte er, daß sie
Schlimmes zu bedeuten hatten. Besonders jene
Schimpfwörter, mit denen der Vater die Mutter bedachte, während er auf sie einprügelte.
Mit der Zeit stumpften Mutter und Sohn ab, wehrten sich nicht mehr, weil jede Gegenwehr den Vater
nur noch stärker anstachelte. Einfach still und mit gesenktem Kopf in der Ecke zu sitzen und nicht einmal
die Arme zur Abwehr zu heben, das war die beste Methode, um die Prügelattacken halbwegs zu überstehen.
Hin und wieder legte der Vater bei der Prügelei Pausen
ein, um zur Schnapsflasche zu greifen. Wenn er genug
getrunken hatte, wurde er müde, und bald darauf fiel er
aufs Bett oder aufs Sofa und schnarchte so laut, daß es
das Weinen der Mutter übertönte.
Francesco hatte irgendwann aufgehört zu weinen.
Vielleicht, als er merkte, daß sein Weinen nichts half,
daß die Tränen verschwendet waren an einen Mann,
dem der Schmerz seiner Frau und seines Sohns allenfalls Befriedigung verschaffte, niemals aber Mitleid
einflößte.
Francesco lernte, sich zu fügen, und hätte sich wohl
immer weiter gefügt, wäre nicht der Moment gekommen, der alles veränderte.
An jenem heißen Sommertag, an den Francesco sich
erinnerte, als sei es gestern gewesen, schlug der Vater
wieder auf die Mutter ein, nannte sie Hure und Hexe
und prügelte sie durchs ganze Haus. So lange, bis die
Mutter nicht mehr aufstand, nicht mehr weinte, nicht
einmal mehr atmete, wie es schien.
Der Schock riß Francesco aus seiner Lethargie. Er
mußte etwas tun, für seine Mutter und für sich!
Und er hatte es getan …
23
Nördlich von Florenz
E
s war später Nachmittag, kurz nach fünf, wie
Alexander mit einem kurzen Blick auf die Uhr am
Armaturenbrett feststellte, aber es war dunkel wie nach
Einbruch der Abenddämmerung. Der Himmel war eine einzige schwarze Wolke, einzig erhellt von gleißenden Blitzen, die, unweigerlich gefolgt vom Donner, in
immer kürzeren Abständen ihren erhabenen und zugleich furchteinflößenden Zickzacktanz vollführten. Es
war eine lange
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