Engelsfuerst
er, daß er über besondere
Kräfte verfügte. Bisher hatte er gedacht, sie dienten allein dem Guten, weil sie es ihm ermöglichten, Kranke
zu heilen. Tommasio aber hatte ihm die andere, die
finstere Seite seiner Macht gezeigt.
Was in ihm geschlummert hatte und durch den Abt
erweckt worden war, konnte töten, zerstören, wenn
Enrico es nicht bezähmte.
Ich muß es unter Kontrolle halten, sagte er sich
immer wieder.
Aber war er dazu in der Lage?
25
Nördlich von Florenz
N
ichts, keine Verbindung«, sagte Elena und ließ
die Rechte mit dem Handy sinken. »Entweder
das Ding ist kaputt, oder das Unwetter verhindert jede Verbindung.«
»Versuch es mit meinem«, schlug Alexander vor,
der den Peugeot mit halsbrecherischer Geschwindigkeit über die Bergstraße jagte. »In meiner Jacke, rechte
Innentasche.«
Während Elena in seine Jacke griff, versuchte er mit
zusammengekniffenen Augen, die Rücklichter des
schwarzen BMW auszumachen. Vergebens, die Killer
hatten sie abgehängt. Aber Alexander wußte auch so,
wohin sie fuhren. Daß sie zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort auftauchten, ließ keinen anderen Schluß zu
als den, daß sie dasselbe Ziel hatten wie Alexander
und Elena.
»Komm schon, du Mistding, sag was!« zischte Elena, während ihre Finger über die Tasten von Alexanders Handy huschten.
Alexander hoffte inständig, daß sie eine Verbindung
hinbekam, denn auch wenn sie vor den Killern bei Egidio Guarducci ankamen – wonach es nicht aussah –,
hatten sie gegen zwei höchstwahrscheinlich bewaffnete und zu allem entschlossene Männer nicht die besten
Karten.
Deshalb wollten sie die Polizei verständigen, die
vielleicht umgehend eine Streife zum Haus des Erzbischofs schicken konnte.
»Fehlanzeige«, erklärte Elena nach etlichen Versuchen und schob das Handy zurück in seine Jackentasche. »Es muß tatsächlich am Unwetter liegen. Ich
kriege keine Verbindung, nicht zu Stelvio, nicht zum
Polizeinotruf, nicht zu Laura, zu niemandem.«
Alexander sah kurz zu ihr hinüber und rang sich
ein trotziges Grinsen ab. »Dann sind wir ganz auf uns
gestellt. Wie die Neandertaler vor der Erfindung des
Mobiltelefons.«
Die Scheinwerfer des Peugeots wischten über ein
unbeleuchtetes Gebäude am Straßenrand, das verlassen zu sein schien. Ein flacher, eckiger Bau mit einem
großen Vordach, unter dem früher wohl einmal Zapfsäulen gestanden hatten.
»Die aufgegebene Tankstelle, von der die Wirtin in
der Trattoria gesprochen hat!« rief Elena.
Alexander bremste. Gerade noch rechtzeitig, um
die Einmündung des Wegs zu erwischen, der zu
Guarduccis Haus führen sollte. Das Manöver brachte
den Wagen auf der regennassen Straße ins Schlingern.
Sofort ließ Alexander die Bremse los und steuerte gegen. Er bekam den Wagen wieder unter Kontrolle und
lenkte ihn in die Einmündung. Es war tatsächlich nur
ein schmaler Weg, unbefestigt und vom Regen aufgeweicht.
»Warum fährst du so langsam?« fragte Elena.
»Weil dieser Weg vorwiegend aus Schlammlöchern
besteht. Wenn ich nicht höllisch aufpasse, sitzen wir
hier fest. Besser langsam fahren, als zu Fuß gehen,
zumal wir nicht wissen, wie weit es noch bis zum
Haus des Erzbischofs ist.«
»Das stimmt sicher, aber ich mache mir Sorgen, daß
wir zu spät kommen.«
»Einholen werden wir die Killer nicht mehr, aber
groß kann ihr Vorsprung nicht sein. Vorhin sind sie
zwar wie die Henker gefahren, aber hier müssen sie
genauso aufpassen.«
Vor ihnen reckten sich die Berge machtvoll in den
düsteren Himmel, während der Peugeot dem gewundenen Verlauf der schmalen Fahrbahn folgte. Rechts
von ihnen gähnte ein Abgrund; der steile Hang war
durch kein Geländer und keine Leitplanke gesichert.
Alexander starrte konzentriert nach vorn, er mußte
sich anstrengen, um überhaupt etwas zu erkennen.
Die Regenflut überschwemmte die Windschutzscheibe schneller, als die Wischer sie freischaufeln konnten.
Nach einer S-Kurve trat er so abrupt auf die Bremse,
daß Elena sich erschrocken an der Konsole festhielt.
»Da vorn ist das Haus!«
Er zeigte auf ein großes Gebäude, das in den Berghang hineingebaut war. Hinter ein paar Fenstern
brannte Licht. Vor dem Haus stand ein unbeleuchteter
Wagen, eine dunkle Limousine. Obwohl Alexander das
Auto nicht genau erkennen konnte, hätte er sein Bankkonto darauf verwettet, daß es sich um den BMW handelte, der bei der Trattoria an ihnen vorbeigefegt war.
»Unsere Freunde sind also schon da«, sagte Elena
und holte erneut ihr Handy
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