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Engelsgesang

Engelsgesang

Titel: Engelsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.A. Urban
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vergessen. Es wird dich immer wieder einholen, wenn du das hier nicht durchziehst.“ Martin trat an die schwere Holztür. Als er sie öffnete, erfüllte sofort ein durchdringender Geruch nach verbrannten Kräutern den Raum.
    „Sie sind so weit“, flüsterte Martin und drückte seinen Freund noch einmal fest an sich. „Geh!“
    „Aber was soll ich denn tun?“
    „Du wirst es wissen, sobald du den Raum betrittst!“
    Unsicher taumelte er auf eine zweiflüglige Tür zu, die wie durch Zauberhand aufschwang. Träge Nebelschwaden, die von glühenden Kohlebecken aufstiegen, beeinträchtigten die Sicht auf einen düsteren, nur von Kerzen beleuchteten großen Raum.
    Ihm war übel. Der Trank brannte in seinem Magen und wühlte sich einen schmerzhaften Weg durch seine Eingeweide. Mühsam setzte er einen nackten Fuß vor den anderen. Der Schleier, der die Wirklichkeit in den Hintergrund drängte, war dichter geworden. Er musste sich konzentrieren. Die Gegenstände um ihn schienen sich zu bewegen, so als beständen sie aus beweglichen, organischem Material. Verwirrt wischte er sich mit einer Hand über die Augen, während er langsam weiter lief.
    Etwa ein Dutzend Gestalten in schwarzen Umhängen standen wie Gespenster umher und wendeten ihm ihre bleichen konturlosen Gesichter zu. Ein Gemurmel erhob sich, dessen Worte er nicht verstehen konnte. War es eine fremde Sprache oder konnte er nun auch seinem Gehörsinn nicht mehr trauen?
    Sein Blick fiel auf die Mitte des Raumes, wo ein großer, mit schwarzem Samt bezogener Tisch stand.
    Das Murmeln der Anwesenden steigerte sich zu einem monoton einschläfernden Singsang. Benommen schüttelte er den Kopf. Die Nebelschwaden wirbelten um ihn herum und schienen sich noch zu verdichten. Seine Umgebung nahm er nur noch schemenhaft wahr. Einzig den riesigen Mann in der leuchtendroten Robe, der neben dem Tisch stand, erkannte er noch klar. Dieser Mann strahlte eine Präsenz aus, die ihn anzog wie ein Magnet.
    Ein kleiner Teil in ihm begann zu schreien, wollte weg, sich umdrehen, davonrennen. Doch der weitaus größere Teil strebte auf die Mitte des Raumes zu. Er richtete seinen Blick auf die Augen des Mannes, die im Schatten der roten Kapuze verborgen waren. Schwarz und abgrundtief blickten sie ihm entgegen. Eine Hand erhob sich und winkte ihn zu sich heran. Er erkannte jedes Haar, das auf dem Handrücken spross, in überdurchschnittlicher Schärfe, während seine Umgebung aus seinem Sichtfeld verschwunden war.
    Ohne sein willentliches Zutun folgte sein Körper der Aufforderung dieses fremden Mannes, während er in der Schwärze dieser bodenlosen Augen versank.
    So dunkel und unendlich musste auch das Vergessen sein, das er hier zu finden gehofft hatte …
    Der Rauch, der seine Lungen füllte und in seinem Hals kratzte, hüllte ihn ein und ließ alles wie einen Traum erscheinen. Als der Mann seinen Umhang öffnete, stürzte er sich bedenkenlos in die angebotene Umarmung. Er spürte noch, wie ihm sein eigener Umhang von der Schulter glitt. Doch es war ihm egal. Eine ungeheure Hitze, die von dem Mann auszugehen schien, versengte ihn und verbrannte seine Furcht, die ihn gerade noch erfüllt hatte.
    Als eine dunkle weiche Stimme ihm befahl, sich auf den Altar zu legen, folgte er der Anweisung ohne Zögern. Alle Sorgen, alle Ängste glitten von ihm ab. Vertrauensvoll gab er sich dem hin, was nun auch immer folgen würde. Kein Zweifel war mehr in ihm, denn alles war genau so, wie es sein sollte.
    Diese abgrundtiefen, allwissenden Augen tauchten über ihm auf, füllten seinen Geist aus, ließen keinen Raum mehr für störende Empfindungen. Sie verdrängten alles, was gewesen war – seine Erinnerungen, seine Vergangenheit, seine Ängste und seine Zweifel – einfach ALLES.
    Und es fühlte sich wahnsinnig gut an …

1.
    Etwa drei Monate früher
 
1.
     
    Obwohl Maria ihre Hände zu Fäusten geballt hatte und sich alle Mühe gab, gelang es ihr nicht, ihre Stimme unter Kontrolle zu bekommen. „Du kannst mich doch nicht hier lassen“, schluchzte sie und wirkte dabei, trotz ihrer fünfzehn Jahre, wie ein kleines Mädchen. Panik stieg in ihr hoch und drohte sie zu verschlingen.
    Ángel hielt beim Packen seiner Tasche inne und sah seine Schwester an. Hinter seinen strähnig blonden Haaren konnte man eine blutende Wunde auf dem Jochbein sehen. Bei diesem Anblick zuckte Maria zusammen, als wäre sie selbst geschlagen worden.
    „Er bringt mich um, Maria.“ Auch seine Stimme zitterte.
    Sie knetete

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