Engelsgesang
besser der Auftritt.“ Dann erinnerte er sich, was er eigentlich gewollt hatte. „Ich habe etwas für dich. Komm mit.“ Wolfgang winkte ihn in einen leeren Nebenraum. Hier drehte er sich zu Ángel um und begann in seiner Hosentasche herumzukramen.
„Das hier hat meiner Mutter gehört.“ Er zog eine silberne Kette mit schwarzen Perlen hervor, an deren Ende ein kleines Kreuz hing. „Ich möchte sie dir schenken.“
Ángel sah sprachlos auf das hin und her pendelnde Kruzifix. „Das … das kann ich nicht annehmen.“
„Doch! Ich möchte es, genau so wie ich möchte, dass du auftrittst. Es wird dir helfen.“
Wolfgang öffnete den Verschluss und legte Ángel den Rosenkranz um den Hals. Die Haut des Nackens war zart und das blonde Haar kitzelte Wolfgangs Hände. Ángels Blick war auf den Boden gerichtet, doch als Wolfgang den Verschluss zumachte, sah er ihn an, direkt in die Augen. Für Wolfgang hörte die Welt auf, sich zu drehen. War das nur Dankbarkeit in Ángels Augen oder doch ein tiefes Verstehen? Begriff dieser Junge, was er in sich spürte? Ahnte er etwa, mit was für Träumen er sich mittlerweile Nacht für Nacht quälte?
Ganz langsam beugte sich Ángel vor. Wolfgang erstarrte. Der schlanke Junge war einige Zentimeter größer als Wolfgang, so dass er zu ihm aufsehen musste. Unwillkürlich hielt er den Atem an, als sich das Gesicht des Jungen dem seinen näherte. Ángels Arme umfingen ihn, er spürte seinen warmen festen Körper an seinem. Dann hauchte ihm Ángel einen Kuss auf die Wange. Die Berührung dieser weichen Lippen ließen seine Knie wegknicken.
„Gracias“, flüsterte Ángel. „Ich werde dich nicht enttäuschen, das verspreche ich dir.“
„Du kannst mich gar nicht enttäuschen“, flüsterte Wolfgang.
Als Ángel seine Arme von ihm löste, musste er nach hinten greifen, um sich an der Wand abzustützen.
„Ich verspreche dir, dass ich diese Kette nie wieder abnehmen werde.“ Ángel öffnete die oberen Knöpfe seines Hemds und ließ sie unter der Kleidung auf seiner glatten Brust verschwinden.
Widerstrebend riss Wolfgang seinen Blick los. „Komm, es ist so weit. Ich wünsch dir viel Glück, obwohl du es wahrlich nicht brauchen wirst.“ Er drehte er sich um und ging in den jetzt gut gefüllten kleinen Saal. Glück durchströmte seinen gesamten Körper.
18.
18.
Die Musiker betraten die Bühne und Martin wusste noch immer nicht, worin die Überraschung bestand, die Valerie für ihn vorgesehen hatte. Als er sie herfuhr, hatte sie kein Wort darüber verlauten lassen.
„Wart es ab“, war ihr einziger Kommentar gewesen. „Vielleicht erfülle ich dir heute deine geheimsten Träume.“ Dabei hatte sie ihr rätselhaftes Lächeln aufgesetzt.
Der kleine Saal war voller Menschen. Martin fühlte sich unter all den bunten „Normalos“ unwohl. Freiwillig wäre er nie zu solch einer Veranstaltung gegangen. Wo er sonst hinging, war er, trotz seiner äußerlichen Auffälligkeiten, Gleicher unter Gleichen. Hier war er der einzige Goth, und, als ob das nicht reichte, auch der einzige unter Vierzig.
Bestand Valeries Überraschung etwa darin, ihn zu Tode zu langweilen? Ihrem absonderlichen Humor war es zuzutrauen, dass sie ihn schon mal darauf vorbereiten wollte, wie es war, tot zu sein. Manchmal zog sie ihn mit solchen Scherzen auf. Sie kannte seine Neigung zu Spaziergängen auf dem Friedhof und der Farbe Schwarz.
„Du wirst schon sehen“, flüsterte sie und legte ihre zierliche Hand auf sein nervös wippendes Bein. Diese Berührung versetzte ihm einen Stromschlag, der sich bis in seinen Schritt zog und einen Moment seine gesamte Aufmerksamkeit forderte.
Währenddessen begannen auf der Bühne zwei Gitarristen zu spielen. Ihre Musik schwebte sphärisch durch den Raum und zauberte entrückte Ausdrücke auf die Gesichter der Zuhörer.
Was sollte das hier? Wären sie bei Valerie zu Hause nicht besser aufgehoben? Da könnten sie auch Musik hören und den Abend im Bett, auf dem Fußboden oder, wenn sie es unbedingt wollte, auch in ihrem Atelier verbringen. Er verstand nicht, was sie ihm hier zeigen wollte. Unverwandt sah er sie von der Seite an und versuchte, sie mit seinem Blick zu verunsichern. Es misslang. Gelassen sah sie auf die Bühne und tat so, als besuche sie gern solche New Age Konzerte.
Das erste Stück endete, nach gefühlten dreißig Minuten, und Applaus ertönte. Dass diesen Leuten so etwas gefiel … Martin schüttelte den Kopf.
Valerie, die die ganze Zeit so getan
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