Engelsgesang
schulden kommen lassen würde. Letzteres würde er tunlichst zu vermeiden wissen.
„Soll ich vorbeikommen?“, fragte er in die vorherrschende Stille.
„Ja, hol mich in einer Stunde ab.“
„Wo gehen wir hin?“
„Das“, entgegnete Valerie, und er hörte ihrer Stimme an, dass sie lächelte, „wird eine Überraschung für dich.“
Nachdem sie aufgelegt hatte, ging er in das kleine Bad, das direkt gegenüber seinem Zimmer lag und stellte sich unter die eiskalte Dusche. Er musste seinen Rausch vertreiben. Er wollte klar sein, wenn ihn Valerie mit etwas, von dem er keine Ahnung hatte, was es war, überraschen wollte. Valeries Überraschungen waren immer spektakulär, auch wenn sie eher zu ihrem eigenen Amüsement beitrugen, als zu dem der anderen. Valerie tat nie etwas ohne Hintergedanken. Doch im Allgemeinen fiel für ihn immer genug ab, seien es neue Impulse für seine Kunst oder, wenn er Glück hatte, einmalige sexuelle Erfahrungen. Natürlich hoffte er auf Letzteres.
Glücklicherweise konnte er die Ausmaße, die die Überraschung für ihn bereithielt, jetzt noch nicht erahnen.
17.
17.
Die Nervosität kroch Ángel in den Magen und verursachte ihm Unwohlsein. Während Wolfgang die eintreffenden Gäste begrüßte und plauderte, saß er bei einer Tasse Tee an einem der hinteren kleinen Tische und versuchte, sein Lampenfieber in den Griff zu bekommen. Als er die Tasse hob, zitterte seine Hand deutlich.
Er glaubte, einen Fehler begangen zu haben, als er Professor Jugan zu diesem Konzert eingeladen hatte. Der Gedanke daran, dass diese Frau im Publikum sitzen würde, verschlimmerte seine Anspannung um ein vielfaches. Warum hatte er es überhaupt getan? Unterstützung erhoffte er sich von ihr nicht. Beeindrucken wollte er sie auch nicht. Also wieso?
Wahrscheinlich war der einzige Grund Wolfgangs Aufforderung gewesen, er sollte doch jemanden einladen. Er wollte nicht dastehen, als hätte er keine Bekannten oder Freunde. Obwohl genau das der Wahrheit entsprach. Doch niemals hätte Ángel das so formuliert. Und genau das war wohl auch der Grund, weshalb jemand, den er kannte, im Publikum sitzen musste. Auch wenn es nur die Frau war, für die er momentan arbeitete.
Sein Blick schweifte über die Zuschauer, auf der Suche nach der Flut roter Haare, die Professor Jugans augenscheinlichstes Markenzeichen waren. Noch war sie nirgends zu sehen. Vielleicht würde sie ja nicht kommen …
Ángel schob die Tasse weg, faltete die Hände und schloss die Augen. Er würde dafür beten, dass sie nicht kam und dafür, dass dies alles hier schnell vorüber gehen würde. Zu beten hatte ihm in letzter Zeit oft geholfen. Und auch jetzt verfehlte es seine Wirkung nicht. Als sich die lateinischen Worte des Vaterunsers in seinem Kopf wieder und wieder zu drehen begannen, senkte sich Ruhe über ihn. Es war, als würden sich das Stimmengewirr und Klirren der Gläser zurückziehen. Eine Art schützende Glocke stülpte sich über ihn, unter der die Angst abfiel, und er wieder freier atmen konnte.
„Angel.“ Die Stimme drang von weit her an sein Ohr, und er brauchte eine Weile, bis er begriff, dass ihn jemand angesprochen hatte. Früher hatte seinen Namen nie jemand englisch ausgesprochen …
Eine Hand legte sich auf seine Schulter. „Angel, geht es dir gut?“
Er öffnete die Augen und sah Wolfgang, der sich über den Tisch gebeugt hatte, mit seinen grünlichen Augen verträumt an.
Genau diesen Blick würde er haben, wenn er morgens, neben einem im Bett aufwachte, zuckte es Wolfgang durch den Kopf. Er schluckte trocken und drängte dieses Bild mit Gewalt aus seinen Gedanken.
„Ich weiß nicht.“ Ángels Blick begann zu flattern, als er sich wieder bewusst wurde, wo er sich befand. Das Strahlen in seinen Augen erlosch, zurück blieben Angst und Unsicherheit. Es war, als ob sich ein schwarzer Schatten auf ihn gesenkt hatte.
„Du“, seine Stimme zitterte, „könnten wir diese Sache nicht einfach ausfallen lassen?“
Wolfgang nahm den Wandel von Ángel mit Erstaunen wahr. Gerade eben hatte er noch ganz entspannt am Tisch gesessen. Als er seine Augen geöffnet hatte, war er für Sekunden wunderschön gewesen, mit einer unglaublich kraftvollen Ausstrahlung. Doch jetzt saß wieder der verschüchterte Jugendliche vor ihm, den er damals in einer Bar aufgelesen hatte. Wolfgang schüttelte den Kopf. „Das ist nur Lampenfieber. Glaub mir, das ist völlig normal. Es ist sogar gut, denn je schlimmer die Aufregung vorher, umso
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