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Engelsgesang

Engelsgesang

Titel: Engelsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.A. Urban
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hatte, als wäre sie mit ihrem Interesse ganz auf der Bühne, drehte sich zu ihm und flüsterte: „Mach dich locker, Marty. Ein bisschen Entspannung wird dir gut tun.“
    Martin schnaufte. Entspannung … die hätte ihm sein Joint vorhin verschaffen können, wenn er nicht gestört worden wäre. Noch immer würde er wie auf Wolken gebettet auf seinem Bett liegen, wenn ihn Valerie nicht in diese Rentnerveranstaltung entführt hätte.
    Aber er hatte sich nun mal entschieden, und konnte es jetzt auch nicht mehr rückgängig machen. Er verschränkte die Arme vor der Brust und schloss die Augen. Diese Musik war eigentlich genau das richtige für ein kleines Nickerchen. Valerie würde ihn schon wecken, wenn’s vorbei war …
    Doch Valerie brauchte ihn nicht zu wecken. Dies tat der kleine Gitarrist, der plötzlich zu reden begann: „… dies ist sein erster öffentlicher Auftritt, zu dem ich ihn regelrecht nötigen musste.“
    Martin riss die Augen auf und blickte auf die beleuchtete Bühne. Er kannte den Name, der gerade auf der Bühne gefallen war. Oder war sein Geist immer noch vom Hasch vernebelt?
    Der Gitarrist mit dem spärlichen Haar strahlte über das ganze Gesicht, als er weiterredete: „Ich habe das wundervolle Talent meines Freundes durch puren Zufall entdeckt. Er wird heute zwei Arien von Georg Friedrich Händel zum Besten geben, die sie so sicher noch nie gehört haben. Bitte unterstützen sie ihn mit einem kräftigen Applaus. Meine Damen und Herren, Angel van Campen.“
    Ja, genau, dieser Name war es gewesen. Martin kannte ihn, konnte ihn aber, in diesem Rahmen, keiner Person zuordnen. Er setzte sich auf und starrte auf die von Scheinwerfern hell erleuchtete Bühne.
    Während freundlicher, aber zurückhaltender Beifall einsetzte, betrat ein blonder junger Mann das Podium, bei dessen Anblick Martins Herz bis zum Hals schlug und dann einem Moment aussetzte. Er kannte ihn. Zwei Mal waren sie sich schon begegnet. Wenn er genau nachdachte, hatte er ihm, durch Valeries Gemälde, sogar schon mehr als zwei Mal gegenübergestanden.
    War das Valeries Überraschung? Sicher, das sah ihr ähnlich, ihn mit seinem persönlichen Quälgeist zu konfrontieren. So war sie nun mal. Immer, wenn sie den Schwachpunkt eines Menschen entdeckt hatte, ließ sie nicht eher locker, bis sie alle Möglichkeiten zu ihrer eigenen Zufriedenheit herausgekitzelt hatte. Sie liebte es, Menschen in Extremsituationen zu beobachten. Notfalls tat sie alles, um den Idealfall für diese Situationen zu schaffen. Er hätte es sich denken können. Doch er würde ihr nicht die Freude machen, die Veranstaltung zu verlassen, damit zeigen, dass er der Lage nicht gewachsen war. Bei der nächsten Fotosession würde sie darauf zurückkommen und es für ihre Zwecke nutzen. Er kannte sie wirklich gut. Er wusste, dass es später viel schmerzvoller sein würde, wenn er jetzt eine Blöße zeigen würde. Viel besser war es, den heutigen Abend, ohne mit der Wimper zu zucken, durchzustehen.
    Martin beobachtete den Jungen, der in ihm so zwiespältige Emotionen hervorrief. Wie alt war der Typ? Sechzehn? Siebzehn?
    Trotz seines heftig schlagenden Herzens blieb Martin ruhig sitzen und beobachtete die Aufführung auf der kleinen Bühne. Der Junge bewegte sich schüchtern in die Mitte der Bühne. Der Gitarrist lächelte und nickte ihm aufmunternd zu.
    Ángel wendete sich dem Publikum zu und schloss konzentriert die Augen. Das Räuspern und Scharren verstummte, als klassische Gitarrenklänge durch den Saal zu schweben begannen. Dann erklang ein hoher, reiner Ton und überlagerte die Gitarren. Als Ángel die Augen wieder öffnete, sah es aus, als stände plötzlich ein anderer Mensch auf der Bühne. Er ließ seinen Blick mit einer Selbstsicherheit über die Menschenmenge schweiften, die man ihm Anfangs nicht zugetraut hatte. Klare Töne ertönten und reihten sich in einer filigranen Melodie aneinander.
    Martin schien es, als ob Ángels Blick auch eine Weile auf ihm verharrte. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass der Junge ihn begutachtete. Ohne es wirklich zu wollen, huschte ein kleines Lächeln über Martins Gesicht. Dieser Junge vermittelte ihm das Gefühl, als sänge er nur für ihn. Er wusste, dass dies Blödsinn war, und trotzdem … sein Gesicht brannte unter dem Blick des anderen förmlich. Er atmete hörbar aus, als Ángel endete.
    Einen Moment herrschte Stille, dann setzten der Beifall und die Jubelrufe ein. Martin wurde der Blick auf die Bühne versperrt,

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