Engelsgesang
Ángel vorbei, während sich sein Gesicht verfinsterte. „Ach, da kommt ja Professor Grünschachts Meisterschülerin …“
„Guten Tag, Herr Professor Endele“, sagte das blonde Mädchen aus der ersten Reihe und wandte sich Ángel zu. „Ich wollte mich bei dir entschuldigen … wegen vorhin. Ich hatte so eine hohe Stimme bei einem Mann nicht erwartet.“
„Ja, das hat wohl keiner“, sprach Professor Endele dazwischen. „Der Countergesang ist eine spezielle Kunst, zu der man noch etwas mehr angeborenes Talent mitbringen muss als zum normalen klassischen Gesang. Und Angel hat genau diese Vorzüge.“ Stolz schwang in seiner Stimme und Ángel wurde das in der Gegenwart des fremden Mädchens peinlich. Er spürte, wie ihm erneut das Blut ins Gesicht schoss. Sein Blick irrte umher, unentschlossen, was er ansehen, wo er hinsehen sollte.
Das Mädchen fing seinen Blick ein und lächelte. „Ich hoffe, du nimmst meine Entschuldigung an und kommst mit den anderen Studenten und mir noch etwas trinken? Wir wollen den Abend mit einem Glas Wein ausklingen lassen.“
„Na, Angel, dann wünsch ich dir viel Spaß“, sagte Professor Endele und wandte sich zum Gehen. „Wir sehen uns dann nächste Woche?“
„Ja, vielen Dank, bis Montag.“ Ángel sah dem Professor hinterher und war verunsichert. Was sollte er zu dem Mädchen sagen? Sollte er wirklich mit den Studenten feiern gehen? Das hier war eine andere Welt. Er wusste nicht, ob sie jetzt schon die Richtige für ihn war.
Für das Mädchen schien die Entscheidung jedoch schon gefallen zu sein. „Mein Name ist übrigens Katharina von Schwarzenburg, falls du vorhin, als ich vorgestellt wurde, nicht aufgepasst hast“, sagte sie und lächelte ihn so charmant an, dass Ángel nichts Heimtückisches dahinter erkennen konnte. Wie er sich doch täuschte …
Kurze Zeit später saßen sie in einer Künstler-Bar. Mattes Rot und glänzendes Schwarz dominierten und gaben dem Raum einen extravaganten, kühlen Touch.
Ángel hielt sich an einem Bier fest und versuchte den hin und her fliegenden Dialogfetzen von zwei jungen Männern, wie einem Tennismatch, zu folgen.
„Habt ihr den Kirchmeister heute am Flügel gesehen, wie schwer der sich mit der Arie des Escamillo getan hat? Das war mir dieses komplizierte Stück allemal wert. Den Typ hab ich echt gefressen.“
„Mit dem solltest du dich aber nicht anlegen. Wenn er dich reinreiten will, dann schafft der das. Und du bleibst am Ende auf der Strecke.“
„Dann geh ich zu meinem Professor und schwärze ihn an.“
„Du weißt doch, die Musiker haben Anstellung auf Lebenszeit. Dem kannst du nichts.“
„Ich weiß sowieso nicht, was du gegen ihn hast“, sagte die blonde Katharina.
„Na, sei doch mal ehrlich, der kann doch noch nicht mal den richtigen Takt halten.“
„Komm, jetzt sei nicht unfair. Sogar unser junger Freund hier ist mit ihm zurechtgekommen. Oder, Angel?“ Sie zog seinen Namen dabei provokant in die Länge.
Alle Augen richteten sich nun auf ihn. Ángel wusste nicht, ob von ihm eine Antwort, eine Zustimmung oder gar nichts erwartet wurde. Schnell nahm er noch einen Schluck von seinem Bier.
„Wie oft hast du mit Kirchmeister geprobt?“, fragte ihn ein dunkelhaariger junger Mann.
„Kirchmeister?“, fragte Ángel irritiert.
„Na, der Typ am Flügel.“
Ángel räusperte sich. „Gar nicht.“
„Na also, sag ich doch, Thomas. Dann kann er nicht so schlecht sein, wie du behauptest. Sogar mit dem Kleinen hier hat er perfekt harmoniert, obwohl Katha die beiden mit ihrem Ausbruch ziemlich aus dem Konzept gebracht hat.“
Katharina lächelte Ángel wieder an. „Ich hab mich auch schon ganz artig entschuldigt, nicht Angel?“
„Ja, das kann Katha gut“, rief jemand. Alle lachten.
„Vielleicht solltest du den Fehler nicht bei Kirchmeister, sondern bei jemand anderen suchen?“, warf ein zierliches Mädchen dazwischen.
„Meinst du etwa bei mir?“, fragte Thomas.
„Träum weiter, Doro. Bevor Thomas die Fehler bei sich selber sucht, muss es vorher ein gebrülltes Piano Pianissimo geben.“
Wieder lachten alle, während Thomas eine finstere Miene aufsetzte. Ángel wusste nicht, warum gelacht wurde, lächelte aber ebenfalls, um nicht aufzufallen. Er fand das Gespräch seltsam. Sie hätten genauso gut in einer unbekannten Fremdsprache reden können. Er hätte bestimmt eben so viel verstanden wie jetzt.
„Seit wie vielen Semestern studierst du schon?“, wandte sich Thomas direkt an ihn.
Weitere Kostenlose Bücher