Engelsgesang
Ähnlichkeit zu sich selbst und doch sollte er dieses fremdartige Äußere mit seinem Inneren in Einklang bringen. Je eher, desto besser.
„Glaube an dich und dein Talent. Ich jedenfalls tue es“, sprach der Professor, so als könne er Ángels Gedanken lesen.
„Ich möchte Ihr Vertrauen auch nicht enttäuschen. Ich werde mein Bestes geben.“
„Ich weiß, mein Junge. Ach, fast ich hätte es vergessen. Hast du an deine Zeugnisse gedacht?“
Ángel schaute betreten zu Boden. Seine Zeugnisse befanden sich im Haus seines Vaters und dort würde er die nächste Zeit nicht hinkommen. Wenn er seinen Auftritt heute verpatzte, würde er sie vielleicht gar nicht brauchen …
„Du kannst sie später nachreichen“, sagte der Professor. „Die ausgefüllten Formulare waren erst mal am wichtigsten.“
Auch auf die Formulare hatte Professor Endele warten müssen. Mehrmals hatte er Ángel erinnert, dass sie für das Auswahlverfahren notwendig waren. Ohne sie konnte er nicht zugelassen werden. Doch Ángel hatte sich mit dem Ausfüllen schwer getan. Stundenlang saß er in der Unibibliothek und raufte sich die Haare. Er verstand die darauf gestellten Fragen einfach nicht. Die Worte waren ihm fremd und die Formulierungen gestelzt und unverständlich. Immer wieder hatte er versucht, Antworten zu finden, und immer wieder musste er verzweifelt aufgegeben.
Irgendwann hatte er sich Wolfgang anvertraut. Es fiel ihm schwer, sich und vor allem Wolfgang einzugestehen, dass er es allein nicht schaffte. Er hatte sich in diesem Augenblick so dumm gefühlt …
Professor Endele zwinkerte ihm aufmunternd zu und setzte sich in eine der Sitzreihen im hinteren Drittel des Saales. Ángel blieb einen Moment an der Tür stehen und sah sich um. Der Saal war groß und fast zur Hälfte mit Publikum gefüllt. Er ging Richtung Bühne und spürte, wie er von den Anwesenden beobachtet wurde. Mit zitternden Beinen setzte er sich in die erste Reihe, wo sich schon die anderen Stipendienanwärter befanden. Ausnahmslos drehten sie sich zu ihm um und musterten den Fremden, so als würden sie sein Können anhand seines Aussehens abschätzen. Etwas eingeschüchtert nahm er Platz und richtete seinen Blick starr auf die Bühne. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Seine zitternden Hände musste er krampfhaft zur Ruhe zwingen.
Kurze Zeit später betrat ein junger Mann die Bühne und setzte sich an den bereitstehenden Klavierflügel. Im Saal wurde es still. Das Wispern und Tuscheln verstummte. Eine Frau in einem eleganten Kleid trat hervor, begrüßte die Anwesenden und sprach über die Stiftung des Stipendiums. Ángel konnte sich nicht auf ihre Worte konzentrieren. Viel zu viele Eindrücke stürzten auf ihn ein. Er hörte erst wieder zu, als die erste Sängerin angekündigt wurde.
„… sie ist Meisterschülerin bei Professor Grünschacht und wird heute eine Arie aus der Zauberflöte zum Besten geben“, beendete die Frau gerade ihre Rede.
Ein blondes Mädchen aus der ersten Reihe stand auf und ging auf die Bühne. Ihre Bewegungen strahlten souveräne Sicherheit aus. Selbstbewusst ließ sie ihren Blick über das Publikum gleiten, als gehöre ihr der Saal allein. Dann sah sie zu dem Pianisten und nickte.
Sie sang wundervoll und Ángel hatte das Gefühl, niemals an dieses Können heranzureichen. Seine Aufregung wuchs mit jeder Minute und er hatte Mühe, sich auf das Geschehen vor ihm, auf der Bühne zu konzentrieren. Seine Handflächen waren nass und er unterdrückte den Drang, sie an seiner Hose abzuwischen.
Dichter und dichter rückte Ángels Auftritt heran. Mittlerweile kribbelte sein gesamter Körper. Das Lampenfieber überfiel ihn mit solcher Macht, dass er es nicht mehr auszuhalten glaubte. Sein Magen revoltierte. Die Übelkeit stieg in Wellen hoch. Mit fahrigen Fingern tastete er nach dem Kreuz auf seiner Brust. Als er es unter seinem Hemd spürte, schickte er ein heftiges Stoßgebet zum Himmel.
„Angel van Campen singt die Arie Sta Nell'ircana aus der Oper Alc i na von Georg Friedrich von Händel“, hörte er seine Ankündigung. Mit bebenden Knien stand er auf und stolperte fast über seine Füße. Er erinnerte sich später nicht mehr, wie er auf die Bühne gelangt war, doch plötzlich stand er oben und sah auf das Publikum herab.
So viele Gesichter sahen zu ihm hinauf. In ihnen spiegelte sich Neugier, bei manchen auch Langeweile. Einige lächelten ihm sogar zu. Sein Blick fiel auf Professor Endele, der eine Hand mit erhobenen Daumen
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