Engelsgesang
bekannt für seine kristallklare Stimme und seine besondere Interpretation der Barocken Musik. Er hat in seinem Heimatland, trotz seiner erst siebenundzwanzig Jahre, alle Preise abgeräumt, die es in seiner Kategorie gibt, und er gibt morgen ein Konzert in Verona. Das ist gerade mal eine halbe Autostunde von hier weg. Da dachte ich mir … Ich dachte mir, es würde mir gut tun, musikalisch mal etwas über den Tellerrand zu schauen. Und vielleicht hast du Lust, mich zu begleiten …“
„Martin, du bist verrückt.“ Ángels Augen wechselten zwischen den Karten und Martin hin und her. „Sind hundertneunzig Euro pro Karte nicht etwas viel?“
„Nicht für Verona.“
Der Kellner trat mit der Rechnung an den Tisch, doch Martin ignorierte ihn und sah Ángel weiter an. „Und? Begleitest du mich?“
Ángel, dem es unangenehm war, dass der Kellner neben ihnen stand und wartete, antwortete schnell: „Aber klar doch … immer.“
„Gut, dann haben wir das ja geklärt“, grinste Martin und wendete sich endlich dem Kellner zu. Den ungeheuren dreistelligen Betrag legte er ohne ein Zucken auf das bereitstehende Tablett. Dann stapelte er zwei Zwanziger obendrauf und sagte, ohne aufzusehen: „Das ist für Sie. Haben Sie vielleicht auch Regenschirme da? Ich glaube, ohne die kommen wir nicht mehr trocken nach Hause.“
Martin sollte recht behalten. Trotz des riesigen Regenschirms, den das Restaurant ihnen überlassen hatte, kamen sie pitschnass in der Villa an.
„Du bist verrückt!“ Ángel sah Martin aus einem regenfeuchten Gesicht an und wischte sich das nasse Haar aus der Stirn.
„Das hast du richtig bemerkt. Ich bin verrückt … nach dir.“
„Nein, das meine ich nicht. Die Restaurantrechnung … Verona … die Karten … Das ist zu viel!“
„Das glaube ich nicht. Nichts ist zu viel für dich.“ Er fasste nach Ángels Hemd. Es klebte nass an seinem Körper und er musste es ihm aufreißen.
Sie nahmen sich nicht die Zeit, die Kleidung abzulegen. Sie liebten sich heftig auf den kalten Stufen der Eingangshalle.
Und dies blieb nicht das letzte Mal in dieser Nacht. Wieder und wieder ließ Ángel ihn in sich eindringen. Doch Martin drängte sich in letzter Zeit immer mehr das Gefühl auf, dass dies nur auf körperlicher Ebene geschah. Ángel ließ ihn nicht an seinen Geheimnissen teilhaben. Er war verschlossen, erzählte nichts von den Albträumen, die ihn Nacht für Nacht quälten, gab nichts von seiner Familie preis, außer das, was er Martin damals auf dem Friedhof anvertraut hatte. Und er konnte es noch immer nicht ertragen, von hinten im Stehen genommen zu werden. Wie oft hatte Martin ihn sanft dazu bringen wollen, im Ankleidezimmer, in der Dusche. Obwohl Ángel ihn nie wieder mit Worten abgewiesen hatte, entzog er sich trotzdem immer wieder auf geschickte Weise. Und einem guten Blowjob konnte Martin einfach nichts entgegensetzen. Wenn Ángel vor ihm auf die Knie ging, war er machtlos. Alle Gedanken, die ihn gerade noch beschäftigt hatten, verschwanden im Nichts, wie Wasserdampf in warmer trockener Luft. Erst später, wenn er befriedigt und müde war, kehrte der Unmut über diese geschickte Manipulation zurück.
„Sag, Angel, dich bedrückt doch irgendetwas“, begann er, als sie sich zum Bettgehen bereit machten.
Blitze zuckten über dem See und tauchten das Zimmer für Sekundenbruchteile in grelles Licht.
„Wie kommst du denn darauf? Ich bin glücklich. Du gibt mir alles, was ich brauche und noch so viel mehr.“
„Ich meine nicht uns.“ Martin ließ seine Fingerspitzen über Ángels glatten Rücken gleiten.
„Was meinst du dann?“
„Erzähl mir, wofür du jeden Abend betest!“
Ángel sah ihn an. „Stört es dich?“
„Nein, natürlich nicht. Manche Menschen gehen zum Psychiater und andere suchen ihre Erlösung eben im Gebet.“
„Ich danke Gott in meinem Gebet. Ob du’s glaubst oder nicht. Ich danke ihn dafür, dass wir uns getroffen haben. Und ich bete dafür, dass wir noch lange zusammenbleiben. Aber ganz bestimmt brauch ich keinen Psychiater.“
„Bist du dir da sicher?“
„Ja, verdammt!“ Ángel drehte sich um und zog sich die Bettdecke bis zu den Ohren hinauf. Ein lauter Donnerschlag erfüllte das Zimmer und ließ die Scheiben klirren.
„Okay, wenn du das sagst.“ Martin stand auf und sah aus dem Fenster. Blitze zuckten durch die Wolken und erhellten den Himmel. Erneut grollte Donner. Die Elektrizität der tobenden Naturgewalt war selbst in diesem Raum als ein
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