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Engelsgesang

Engelsgesang

Titel: Engelsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.A. Urban
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Knistern zu spüren.
    Einige Minuten blieben beide stumm, als lauschten sie dem Unwetter. Endlich löste sich Martin aus seiner Starre und trat an seinen Schreibtisch. Er öffnete eine Schublade und suchte einen kurzen Moment darin herum. Dann schüttete er eine Prise hellbraunes Pulver auf die Glasplatte des Tisches.
    „Martin, bitte, tu das nicht“, kam Ángels Stimme unter der Bettdecke hervor.
    „Wieso soll ich das nicht tun, he? Nicht jeder findet sein Heil beim Gebet. Dies hier ist meine Möglichkeit, mit Gott zu sprechen.“ Geräuschvoll zog er das Heroin ein und lehnte sich mit geschlossenen Augen im Sessel zurück.
    So würde er wenigstens ungestört schlafen können. Er wollte Ángels Albträume, die ihn Nacht für Nacht heimsuchten, heute nicht mit anhören müssen. Er fühlte sich jedes Mal, wenn er von dem Herumwälzen und Gestammel aufgeweckt wurde, so hilflos und ohnmächtig. Er würde diesen Anblick heute, nachdem seine Hilfe so kalt abgeschlagen wurde, nicht ertragen können. Er wollte nicht schon wieder zusehen, wie Ángels persönliche Monster erwachten und ihn quälten. Glücklicherweise hatte er ja seine kleinen Helfer zur Hand. Er war nicht blöd. Er wusste, dass Drogen nicht die Lösung waren. Trotz allem waren sie eine verdammt klasse Erfindung. Nur Sex gab ihm noch einen besseren Kick. Morgen früh würde er sich eventuell Vorwürfe machen. Doch bis dahin war es noch lang hin. Und wenn ihm danach war, würde er auch diese Vorwürfe mit einer kleinen Wunderpille zum Schweigen bringen können.
    Schon fühlte er, wie sein Geist zu schweben begann. Sein Bewusstsein hatte längst seinen Freund unter der bebenden Bettdecke und das leise Schluchzen, das darunter hervordrangen, ausgeblendet. Ein wunderbarer Frieden umhüllte ihn. Dass dies ein trügerischer Frieden war, spielte jetzt keine Rolle mehr.

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    Ángel betätigte die Spülung und sah dem weißen und hellbraunen Pulver hinterher, dass vom Strudel gemischt, in die Tiefe des Keramikbeckens gesogen wurde. Dann öffnete er eine Plastiktüte mit verschiedenfarbigen Pillen. Auch diese schüttete er in die Toilette. Als sich seine Finger dem Spülknopf näherten, ließ ihn Martins Stimme zusammenfahren: „Weißt du, dass du gerade mehrere hundert Euro das Klo runterspülst?“
    „Ich zahle es dir zurück“, sagte Ángel leise und senkte den Blick.
    „Ach ja? Du zahlst mir das mal wieder zurück? Einen Scheiß brauchst du mir zurückzahlen! Das Geld ist mir nicht wichtig, das weißt du. Wenn ich möchte, kann ich gleich nachher meinen Dealer anrufen. Innerhalb weniger Stunden bringt der mir alles, was ich brauche. Du glaubst doch nicht etwa, dass du mich mit so einer Aktion beeinflussen kannst.“
    „Martin, ich … ich will nur, dass du mit den Drogen aufhörst.“
    „Wieso? Was geht dich das an?“ Martins Blick war noch immer finster und misstrauisch.
    „Ich … ich mache mir Sorgen um dich. Diese Dinger zerstören Menschen. Und … und …“ Ángel verstummte und blickte Martin aus dunkel umschatteten Augen an. „… ich möchte dich nicht verlieren.“ Den letzten Satz sagte er mit leiser, fast unhörbarer Stimme.
    „Du meinst das wirklich ernst, he?“
    „Was glaubst denn du?“ Ángel schluchzte. „Ich habe doch nur … dich.“ Zittern ließ er sich vor dem Becken auf den Boden sinken. Wie ein Häufchen Elend saß er dort.
    „Komm, komm, steh auf. Es ist ja gut.“ Martin zog ihn hoch und nahm ihn in die Arme. „Du wirst mich nicht verlieren. Wahrscheinlich wirst du eines Tages, wenn du ein berühmter Sänger bist, meiner müde werden und gehen.“
    „Ach, hör auf, ich werde dich niemals verlassen, und berühmt werde ich auch nicht.“
    „Sei dir da mal nicht so sicher! Wenn ersteres nicht eintrifft, würde ich mich freuen. Dass du jedoch mal ein großer Sänger wirst, ach was sage ich, ein großer Sänger bist, ist unumstößlich.“
    Ángel lächelte ihn schief an. „Lügner. Du brauchst mir keine Märchen erzählen, um mich aufzumuntern. Es reicht, wenn du mich in den Arm nimmst.“
    „Ach, Angel, ich weiß nicht, wie ich dir helfen kann. Du zweifelst an dir viel zu sehr. Wenn ich doch nur in dich hineinsehen könnte.“ Er strich die blonden Locken zur Seite und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
    „Sei froh, dass du es nicht kannst“, flüsterte Ángel. „Dir würde nicht gefallen, was du da sehen würdest.“

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    Der Rest des Tages erwähnte keiner von beiden den ärgerlichen Zwischenfall

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