Engelsgesang
lassen?“
Darauf entgegnete Ángel nichts. Stattdessen krampften sich seine Finger schmerzhaft in den Ledersitz.
„Weißt du, ich habe mit mir gerungen, als ich an der Tür gelauscht und die Kerle reden gehört habe. Mir fiel ein, was du gestern zu mir gesagt hattest: ‚Es ist ein Kompliment. Ob sie jetzt mein Aussehen, mein Wesen oder mein Können meinen, im Endeffekt ist es doch ein und dasselbe.’ So gesehen war es doch ein Kompliment an dich, was sie mit dir tun wollten. Ich hatte überlegt, ob ich dich nicht einfach deinem Schicksal überlasse.“ Martin verstummte.
Ein trockener Kloß steckte in Ángels Hals. Wie konnte Martin seine Worte nur so missverstehen?
Nach einigen Minuten, in denen nur das leise gleichmäßige Surren des Motors zu hören war, fuhr Martin endlich fort: „Doch ich habe es nicht ertragen können … Die Bilder in meinem Kopf haben mich rasend gemacht. Ich kann es nicht dulden, dass dir jemand so etwas antut …“
„Warum?“ Ángel musste schlucken, um seine Stimme unter Kontrolle zu bekommen.
Martin sah ihn an. Der Blick ließ Ángels Atem stocken und plötzlich hatte er Angst vor der Antwort. Er wusste nicht, ob er sie noch hören wollte.
„Weil ich verrückt nach dir bin“, Martin lachte hart auf. „Ich kann es selber kaum glauben, dass ich das sage, aber ich bin verrückt nach einem Kerl.“ Dann wurde er wieder ernst. „Eins ist mir heute bewusst geworden … Ich möchte nicht, dass du mich verlässt.“
Die Worte hallten in Ángels Ohren. Sie machte ihn glücklich, doch gleichzeitig jagten sie ihm einen kalten Schauer über den Rücken. Der heutige Tag hatte ihm gezeigt, dass er eigentlich keine Ahnung hatte, wer Martin wirklich war. Hinter der Fassade des emotionslosen Gruftis steckte ein warmer herzlicher Mensch … doch scheinbar war auch dies nur eine von vielen Nuancen, die nur darauf zu warten schienen, irgendwann einmal zutage zu treten.
50.
50.
Als sie vor der Villa von Martins Eltern anhielten, blieb Ángel reglos sitzen. „Ich will nicht zu dir. Bring mich nach Nymphenburg zu Wolfgang.“ Seine Stimme klang gepresst, so als müsse er mit ganzer Kraft seine aufgewühlten Emotionen unterdrücken.
„Glaub mir, so wie du aussiehst, willst du nicht nach Nymphenburg. Dein Mitbewohner würde mich dieses Mal, nachdem ich dich schon ein Mal so ramponiert abliefert habe, sicher nicht so glimpflich davonkommen lassen. Du musst verarztet werden und dich duschen. Dann werden wir gemeinsam zu Valeries Vernissage gehen.“
„Ich will nicht zur Vernissage“, sagte Ángel trotzig.
„Du willst dir wirklich die Aussicht auf meinen künstlerisch ausgeleuchteten Luxuskörper entgehen lassen? Das kann ich mir nicht vorstellen.“
Ángel presste die Lippen aufeinander. Er wollte etwas entgegnen, doch die Kraft dazu war ihm irgendwann im Laufe der letzten Nacht abhanden gekommen.
Willenlos folgte er seinem Freund ins Haus.
„Hier, zieh das an!“ Martin legte saubere Kleidung auf den Badewannenrand. Ángels alte Kleidungsstücke, die achtlos auf dem gefliesten Boden lagen, waren total verdreckt. Das Ereignis auf der Autobahntoilette hatte seinen Lohn gefordert. Der Blick, den Ángel vorhin in den großen Spiegel über dem Waschbecken geworfen hatte, hatte ihm ein mit Blut und Schmutz verschmiertes Gesicht gezeigt, das von strähnigem Haar umrahmt war. Bei diesem Anblick verstand er Martins Einwände, ihn so nicht nach Hause fahren zu wollen.
Auch Martin musste in der Zwischenzeit geduscht haben. Er trug einen schwarzen eleganten Anzug, während seine Haare nass über seinen Rücken hingen. Er hielt eine Packung Pflaster in der Hand, während er auf ihn zukam. Dann streckte er eine feingliedrige Hand nach Ángels Gesicht aus. Kurz zuckte dieser zurück, als die Finger die Platzwunde über seiner Augenbraue berührten. Routiniert, so als hätte er das schon viele Male getan, desinfizierte Martin die Wunde und verschloss sie mit Klammerpflaster. „So, dass sollte reichen. Valerie findet das bestimmt klasse. Die steht auf Blessuren.“
„Ich weiß“, flüsterte Ángel.
Martins Hand verharrte an seiner Wange. Sie fühlte sich warm und trocken an. Er sah auf und ihre Blicke begegneten sich. Die Bitte um Versöhnung lag wie ein stummer Schmerz in Martins Augen, und er hätte sie vielleicht abgeschlagen, wenn dieser Blick nicht ein verlangendes Kribbeln in ihm erzeugt hätte. „Tu das nie wieder!“, brach die aufgestaute Emotion aus ihm heraus.
„Was?“,
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