Engelsgesang
fragte Martin. „Dich verteidigen?“
„Nein.“ Ángel schüttelte den Kopf, als wolle er seine Gedanken ordnen. „Nimm mich nie wieder so … gewaltsam … von hinten …“ Seine Stimme hatte zu zittern begonnen und drohte ihm zu versagen.
„Es tut mir leid. Ich verspreche dir alles, was du willst.“ Mit Händen, die sein Gesicht warm umschmiegten, zog Martin ihn zu sich heran. Weiche Lippen legten sich auf seine, die das Bedürfnis nach mehr in ihm entfachten. Doch bevor er dem nachgeben konnte, sprach Martin weiter: „Du musst mir aber auch etwas versprechen.“
Ángel sah ihn stumm an. Nach einige Sekunden redete Martin weiter: „So kann es nicht weiter gehen, Angel. Du brauchst Hilfe!“
Empört trat Ángel einen Schritt zurück. „Ich brauche keinen Seelenklempner!“
„Ich will dich nicht zu einem Psychiater schicken“, beschwichtigte Martin. „Es gibt andere Methoden. Bessere. Vertrau mir.“
Ángel drehte sich zum Spiegel, richtete seinen Hemdkragen und tat so, als hätte er nichts gehört.
„Ich möchte nur, dass du es weißt: ich kenne Möglichkeiten, die dir helfen können, fernab von Ärzten oder Kliniken.“
„Okay, jetzt weiß ich das also auch. Wenn ich es irgendwann mal brauchen sollte, werde ich wissen, an wen ich mich zu wenden hab“, sagte er leichthin. Dann drehte er sich um und präsentierte Martin sein Outfit aus dunkelrotem Samt. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich so auf die Straße trauen kann.“
„Du siehst umwerfend aus. Als hätte ich gewusst, dass ich den Anzug einmal für dich kaufen würde.“
Kritisch musterte Ángel nochmals sein Spiegelbild und zog sich eine Locke in die Stirn. „In Ordnung. Ich vertraue dir … nicht nur in Kleidungsfragen. Weißt du, die letzten Tage in Italien waren die Besten meines Lebens!“
„Meine auch“, antwortete Martin, ohne zu zögern.
Sie lächelten sich an und das Lächeln wurde breiter, bis es zu einem herzhaften Lachen angewachsen war, in dessen Verlauf sie sich in die Arme fielen.
„Ich bin so froh, dass alles wieder gut ist. Jetzt freue ich mich richtig auf die Ausstellung. Ich bin auf deine Fotos neugierig. Mal sehen, ob Valerie dich so einfangen konnte, wie ich dich kenne.“
„Das würde mich doch sehr wundern. Valerie kitzelt bei ihren Shootings immer ganz besondere Aspekte hervor“, sagte Martin.
„Ja, davon habe ich schon gehört.“
51.
51.
Gabriel van Campen stieg aus der Limousine und lief energisch auf den Eingang der hell erleuchteten Galerie zu, in der heute Valerie Jugans Vernissage stattfand.
Er war nicht wegen der Kollegin gekommen. Sie und ihre Arbeiten interessierten ihn einen feuchten Dreck. Er suchte seinen abtrünnigen Sohn. Sicher würde er ihn hier finden. Er wollte die Angst in den Augen des Jungen sehen. Niemand verschwand einfach ungestraft, ohne seine Erlaubnis und verwandelte sich in Luft. Erst recht nicht, wenn derjenige seine bloße Existenz ihm verdankte. Er hatte gewusst, dass sein missratener Sohn die Stadt nicht verlassen hatte. Er hatte sich sicher die ganze Zeit wie eine Ratte in irgendeinem Loch verkrochen. Doch jetzt hatte er ihn und er würde ihn nicht so einfach davonkommen lassen. Nicht etwa, dass er vorhatte, ihn mit nach Hause zu nehmen … wozu? Er brauchte dieses Anhängsel nicht. Sollte er doch sein räudiges Rattenleben führen, wie es ihm zustand. Aber vorher würde er ihm noch etwas erzählen, eine Neuigkeit, die seine ebenso räudige Schwester betraf.
Er war so dumm gewesen. Er hatte doch wirklich geglaubt, dass sie anders wäre, anders als ihr Bruder und vor allem anders als ihre schwache Mutter. Aber er hatte sich getäuscht.
Sicher hatte Ángel die Neuigkeit noch nicht erfahren. Er hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, dass die Presse keinen Wind davon erfuhr. Aber seinem lieben Sohn würde er die Nachricht nicht vorenthalten.
Ein grausames Lächeln legte sich um seine Lippen, während er sich mit einer lässigen Bewegung eine blonde Locke aus der Stirn fegte. Dann richtete er seinen Blick starr auf die Tür. Er würde seinen Auftritt genießen. Oh ja, das würde er.
Doch ob seine Kollegin am Ende des Abends immer noch froh darüber sein würde, ihn eingeladen zu haben, wagte er zu bezweifeln.
52.
52.
„Ich habe eine Einladung.“ Nervös suchte Wolfgang in den Taschen seiner Jacke und hielt endlich dem Türsteher den Umschlag entgegen. Der Mann warf einen kurzen Blick darauf und ließ ihn wortlos eintreten.
Wolfgang schaffte es
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