Engelsgesicht
Foltermuseum und das Geschäft waren in einem Eckhaus untergebracht. Lange brauchten wir nicht zu suchen, denn das Haus stach von den anderen ab, weil es irgendwie düster wirkte.
Man hatte es zwar nicht schwarz angestrichen, aber im Laufe der langen Jahre war seine Fassade eingedunkelt. Ein düsteres Braun, das auf den Besucher schon beim Hinschauen abstoßend wirkte. Wir sahen nur kleine Fenster und einen Eingang, der an der Seite lag. Die Tür war aus dicken Holzbohlen angefertigt und lief in der oberen Hälfte bogenförmig zusammen.
Wir gingen noch nicht hin, sondern näherten uns zunächst dem Geschäft der Lisa Barton. Bisher hatten wir nur von ihr gehört, sie aber nicht zu Gesicht bekommen. Sie nannte sich selbst Engelsgesicht. Auch wenn wir sie irgendwann in der Masse sahen, würde sie uns auffallen, denn ein solches Gesicht vergaß man nicht. Es fiel eben auf, weil es zu künstlich wirkte.
Das Geschäft war geschlossen und auch abgeschlossen, wie wir feststellten. Vor dem Laden standen die Beweise. Der Roller und auch die Räder der jungen Frauen.
Zwar konnten wir in den Laden hineinschauen, der für ein Kosmetikgeschäft recht düster war, aber es hielt sich niemand dort auf. Weder die Chefin noch die sechs jungen Frauen. Zudem hatten wir keinen Grund, die Tür aufzubrechen. Wir mussten es auf eine andere Art und Weise versuchen.
Suko war von der kleinen Türtreppe weg an das Schaufenster herangetreten. »Willst du sie sehen, John?«
Ich drehte mich um.
Suko wies mit dem rechten Zeigefinger auf das Plakat, das innen an der Scheibe klebte. Mit halb lauter Stimme las er den Text vor. »So schön kann bald jede Frau werden. Jugendlich und alterslos.« Suko lachte. »Was sagst du dazu, John?«
Ich war neben ihm stehen geblieben. »Perfekt. Sie ist auf den Zug der Zeit aufgestiegen. Der Jugendwahn breitet sich immer stärker aus. Er wird noch von Wissenschaftlern angeheizt, die schon erklären, was alles möglich sein wird in der nächsten Zukunft.«
Es blieb nicht nur beim Text. Zum ersten Mal sah ich Lisa Barton, wenn auch nur als Bild auf einem Plakat. Das war also das Engelsgesicht, das sich dort abzeichnete.
Ich ließ mir Zeit. Sehr genau betrachtete ich es und musste zugeben, dass Lisa wirklich perfekt aussah. Es kam wohl dem Gesicht sehr nahe, das sich viele Frauen wünschen, auch wenn sie es aufgrund ihres Alters nicht nötig hatten.
Das perfekte Gesicht!
Wirklich das perfekte Gesicht? Ich hatte da meine Zweifel. Diese Glätte gefiel mir nicht. Es war zu perfekt. Es fehlte darin das Leben oder die Spuren, die das Leben hinterlassen hatte. Für mich war es ein Machwerk. Eine moderne Schöpfung des Dr. Frankenstein. Ohne Nähte und ohne Narben der Zeit in der Haut.
Das Gesicht wurde von langen braunen Haaren umrahmt, die in Wellen frisiert worden waren. Ein üppiger Mund lockte und heizte dank seiner Form so manche Phantasie an. Die Augen schimmerten in einem geheimnisvollen Dunkel, und darin schimmerte eine gefährliche Lockung.
Es war nur das Gesicht und ein Teil des Oberkörpers zu sehen. Der Rest zerfloss und wurde eins mit dem soßigen Hintergrund des Plakats. Der Betrachter sah, dass die Frau ein rotes Kleid trug, dessen Farbe mich an menschliches Blut erinnerte.
»Dein Kommentar, John?«
Ich verzog die Mundwinkel. »Okay, ich bin keine Frau, aber ich kann mir denken, dass manche Frauen, wenn sie das Bild sehen, sich stark zu ihr hingezogen fühlen. Animation ist alles. So kann man aussehen, wenn man zu Lisa geht und sich von ihr behandeln lässt.«
»Mit Blut?«
»Vielleicht Eigenblut.«
»Glaube ich nicht. Da ist sie raffinierter. Sie wird sich das Blut schon besorgen.«
Damit waren wir wieder beim Thema. Blut besorgen. Es hatte schon zwei Tote gegeben, und jetzt stand zu befürchten, dass sich diese Zahl noch verdreifachte. Die sechs Frauen waren zu ihrem großen Vorbild gegangen, und ich war davon überzeugt, dass sie ihr von ihren Erlebnissen berichtet hatten. Lisa Barton würde über uns Bescheid wissen, aber sie würde es nicht schaffen, uns einzuordnen. Das war nicht möglich, denn mit uns hatte sie noch nie Kontakt gehabt.
»Wie dem auch sei«, sagte Suko. »Wir müssen versuchen, in den Laden hineinzukommen.«
Er hatte natürlich Recht, doch er fand nicht meine völlige Zustimmung. »Das wird ein Problem werden«, erklärte ich ihm. »Ich weiß nicht, ob der Laden unbedingt wichtig ist.«
»Ach – was dann?«
»Das Haus. Kannst du dir einen besseren Ort vorstellen,
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