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Engelsgrab

Engelsgrab

Titel: Engelsgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danielle Ramsay
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zu der Toten. Er hatte genügend Mordopfer gesehen, um zu wissen, dass sie zweifellos tot gewesen war, ehe ihr Angreifer beschloss, ihr Gesicht zu entfernen, denn sonst hätten sie jetzt vor einem Blutbad gestanden. Aber diese junge Frau war erdrosselt worden, das verrieten die bläulichen Druckstellen an ihrem Hals. Brady ging davon aus, dass sie mit dem schwarzen Schal erwürgt worden war, der lose verknotet um ihren verfärbten Hals gewunden war. Danach war es zu dem rasenden Angriff auf ihr Gesicht gekommen. Brady erkannte die Kratzspuren an ihrem Hals. Wahrscheinlich hatte sie panisch versucht, den Schal zu lockern, der sie erstickte.
    Auch den kurzen Baumwollrock nahm er notgedrungen wahr. Er bedeckte nur knapp ihre graublau gefleckten nackten Schenkel. Dazu trug sie ein eng anliegendes bauchfreies schwarzes T-Shirt, so tief ausgeschnitten, dass man den Ansatz ihrer vollen Brüste und des schwarzen Spitzenbüstenhalters sah. Sein Blick wanderte zu dem durchstochenen Bauchnabel, an dem ein Ring funkelte. Noch etwas fiel ihm ins Auge, und er ging in die Hocke, um es sich näher anzusehen.
    »Sir?«, fragte Conrad, als Brady abwartend zu ihm hochsah.
    »Handschuhe.«
    Conrad reichte ihm ein Paar Latexhandschuhe.
    »Was haben Sie da?«, fragte Conrad.
    »Das weiß ich noch nicht.« Brady runzelte die Stirn.
    Mit sanfter Hand öffnete er Knopf und Reißverschluss des kurzen Hüftrocks und enthüllte einen transparenten Slip. Der Schambereich war rasiert worden, was Brady nicht überraschte. Er kannte sich aus und wusste, dass die Mode, oder vielmehr die sich ausbreitende Pornoindustrie, junge Frauen unter Druck setzte, ihr Schamhaar mit Wachs zu entfernen oder in schmalen Streifen stehen zu lassen. Dazu kamen noch die lächerlichsten Brustvergrößerungen.
    Doch ihn überraschte die auffällige Tätowierung in Form eines feuerspeienden jadegrünen Drachens, der sich diskret unter ihrer linken Hüfte wand. Brady schaute zu Conrad hoch.
    »Sehen Sie, wie rot und geschwollen die Haut hier noch ist?«
    Conrad nickte.
    »Das heißt, das Tattoo ist noch relativ frisch. Die Verschorfung ist weg, aber die Haut ist noch immer entzündet. Länger als vier oder fünf Wochen liegt diese Tätowierung nicht zurück.«
    Viel wusste Brady nicht über Tätowierungen, doch dass diese hier ein Kunstwerk war, erkannte selbst er.
    Behutsam zog er den Reißverschluss wieder hoch und knöpfte den Rock zu. Er wollte die Intimsphäre der Toten wahren, auch wenn sie das nicht mehr interessieren dürfte, aber immerhin war sie noch jemandes Tochter.
    »Woher wussten Sie, dass da so etwas ist?«, erkundigte Conrad sich verdutzt.
    »Weil ich einen Zipfel davon entdeckt hatte«, sagte Brady und betrachtete sorgfältig den restlichen Körper der Toten.
    Über dem T-Shirt trug sie eine offene schwarze Jacke und an den Füßen braune Ugg-Stiefel, die bis zur Hälfte ihrer schmalen bläulichen Waden reichten. Mit dem Wetter hatten die Stiefel jedoch nichts zu tun, eher waren sie Ausdruck eines bestimmten Modegeschmacks, allerdings eines sehr teuren. Sie hätte eine der zahlreichen jungen Frauen sein können, die am Vorabend durch die Bars von Whitley Bay gezogen waren. Voller Selbstekel dachte Brady an die Frau, die er aufgegabelt hatte. Die Tote dürfte im gleichen Alter gewesen sein. Mit einem Mal verspürte er einen Stich der Reue. Wie gleichgültig und abweisend er sich bei seinem Aufbruch benommen hatte, und nun wusste er über Dornröschen ebenso wenig wie über diese Tote. Hinter ihm hörte er die gedämpften Stimmen der Spurensicherer, die ihre Arbeit wiederaufnehmen wollten.
    Die können warten, sagte sich Brady. Die Fotos des Mordopfers und des Tatorts hatten sie bereits im Kasten, und wenn noch ein paar Minuten vergingen, ehe sie ihre Beweise eintüten konnten, wäre das ja wohl nicht das Ende der Welt. Er brauchte Zeit zum Nachdenken und um die Details aufzunehmen, die zum bitteren Ende dieser jungen Frau geführt hatten. Wenigstens ein paar Anhaltspunkte wollte er finden, um zu begreifen, warum sie ausgerechnet zu diesem Ort gebracht und hier getötet worden war.
    »Es ergibt keinen Sinn«, murmelte er.
    »Das tut es nie«, antwortete Conrad, der fast andächtig wirkte.
    Brady hatte etwas anderes gemeint, aber ihm fehlten die Worte, es auszudrücken.
    Er betrachtete die geöffneten kleinen Hände, die schutzlos an ihrer Seite lagen. Soweit er erkennen konnte, waren die Fingernägel sauber, doch sonst entdeckte er an den Händen nichts.

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