Engelsgrab
Brady. Adamson passt dir besser, weil er im Gegensatz zu Harvey studiert hat. Deshalb ist er aber noch lange nicht der bessere Polizist. Wie Brady hatte Harvey sich von unten auf hochgedient, ohne Studium und Beziehungen, nur durch harte Arbeit.
»Also, was ist jetzt?«, fragte Gates.
»Ich sage Adamson Bescheid.« Brady stand auf und wandte sich zum Gehen.
»Einen Moment noch.« Gates winkte ihn zurück auf den Stuhl. »Ich hätte da noch eine Sache. Nur unter uns.«
Beunruhigt sah Brady ihn an und setzte sich wieder.
»Es geht um Claudia.«
Brady hielt den Atem an.
»Vermutlich wissen Sie, dass O’Donnell ihrem Vorschlag stattgegeben hat.«
»Nein, das wusste ich nicht.«
»Wie dem auch sei. Inzwischen hat O’Donnell die Einwilligung des Innenministeriums, einschließlich der Gelder, die dazugehören.«
Brady schwirrte der Kopf. Nicht einmal das hatte Claudia ihm mitgeteilt. Vor anderthalb Jahren hatte sie die Einrichtung einer juristischen Beratungsstelle angeregt. Sie sollte die Aktivitäten der Polizei von Northumbria und der staatlichen Stelle zur Bekämpfung des Menschenhandels in Sheffield koordinieren. Auf lange Sicht hatte Claudia eine ähnliche Stelle für Newcastle im Auge gehabt.
Das waren die Themen, die ihr am Herzen lagen, zu sehr, wie Brady immer gefunden hatte. Er entsann sich der zahllosen unbezahlten Stunden, in denen sie Frauen und Kinder vertreten hatte, die als Sexsklaven aus Osteuropa und Afrika in den Nordosten Englands geschleust worden waren. Claudia kämpfte gegen die Gesetzesmühlen, in die diese Menschen gerieten, falls sie sich von ihren Ausbeutern befreiten, aber immer noch Illegale waren, voller Furcht, ausgewiesen und in eine Heimat zurückgeschickt zu werden, wo sie erneut versklavt oder ermordet werden konnten. Claudia hatte sich für deren Anspruch auf Asyl eingesetzt. In einigen Fällen hatte sie gewonnen, in anderen verloren und ohnmächtig zusehen müssen, wie die Frauen und Kinder wieder da endeten, wo sie begonnen hatten.
Er konnte nicht glauben, dass sie ihm das nicht erzählt hatte. Er versuchte, mit dieser Situation klarzukommen. Er wollte sich vor Gates keine Blöße geben, aber der Gedanke, dass er sie endgültig verloren hatte, brachte ihn um den Verstand.
»Ich erzähle Ihnen das nur, weil Claudia die Leitung dieser Stelle abgelehnt hat«, hörte er Gates sagen.
»Was?« Wie betäubt starrte er Gates an. Die Position hatte Claudia alles bedeutet. »Warum?«
Wie konnte sie etwas ablehnen, für das sie monatelang von morgens bis abends gekämpft hatte?
»Ich hatte gehofft, dass Sie mir das erklären können.«
Brady schüttelte den Kopf.
Natürlich kannte er den Grund, ebenso wie Gates. Wortlos stand er auf und verließ Gates’ Büro.
Kapitel 12
»Könnten Sie mir einen Gefallen tun?«, fragte Brady.
Turner grinste. »Wenn da ein Bier für mich drin ist.«
»Für Sie sind es sogar zwei«, antwortete Brady und lächelte.
Dann sah er sich um, und sein Lächeln verschwand. Noch nie hatten sich so viele Polizisten auf dem Revier getummelt. Aber für diesen Fall waren welche aus allen Einheiten der Region zusammengezogen worden, denn Whitley Bay besaß nur eine kleine Einsatztruppe für Kapitalverbrechen. Getrunken wurde in dem Ort zwar rund um die Uhr, aber zu Morden kam es selten und erst recht nicht in West Monkseaton, wo die Menschen weitab vom Stadtkern wohnten und wahrscheinlich nicht einmal ahnten, was sich nachts in den verrufenen Straßen abspielte. Brady kannte die Kriminellen ihrer ortseigenen Mafia, die einen Gegenspieler gelegentlich im Tyne entsorgten, aber auch davon bekamen die ordentlichen Bürger nichts mit. Schlägereien und Einbrüche waren typisch für Whitley Bay, aber ein Mord in der feineren Gegend war eine völlig andere Geschichte.
»Was für einen Gefallen?«, riss Turner ihn aus seinen Gedanken.
»Ich habe da so ein Gefühl und will nicht, dass darüber geredet wird.«
Brady wusste, dass Turner auf seiner Seite stand und wie er ein Mann der alten Schule war. Nicht wie die Neuen, die weder Instinkt noch Gefühl kannten, sondern die Details eines Falls in Datenbanken eingaben und auf ihre Erleuchtung warteten. Selbst Brady räumte mitunter ein, dass Computer zeitsparend waren und in Sekunden das verarbeiteten, was sonst ein Dutzend Polizisten eine ganze Woche beansprucht hätte. Und doch vertraute er in erster Linie seinem Instinkt, denn der hatte ihn nur selten in die Irre geführt. Aber mit Gefühlen und Instinkten
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