Engelsgrube - Almstädt, E: Engelsgrube
keine Sekunde zu früh, denn anschließend fiel sie nach vorn und erbrach sich auf den Kellerfußboden. Danach ging es ihr ein kleines bisschen besser. Es musste etwas in ihrem Getränk gewesen sein. Wie hatten sie es geschafft, etwas in ihr Glas zu schütten, ohne dass sie es bemerkt hatte?
Pia schob die nutzlosen Spekulationen beiseite und konzentrierte sich auf ihr Hauptproblem: Sie musste hier raus. Es gelang ihr, auf die Füße zu kommen. Sie ging zu der Tür hinüber und stemmte sich mit der Schulter dagegen. Ohne ihre Hände gebrauchen zu können, hatte sie keine Chance, hinauszugelangen.
Der Türgriff der Kellertür befand sich auf Höhe ihrer Handgelenke, und sie versuchte, das Klebeband zu dehnen, um den Griff zwischen Haut und Band zu bekommen. Das verfluchte Klebezeug zerrte an ihrer Haut, aber es gab nicht nach. So ging es nicht.
Pia schlich zu dem Kellerfenster und stellte sich auf die Zehenspitzen, um herauszusehen. Draußen war es stockdunkel und still. Pia roch vermodertes Laub aus der Kasematte davor und feuchtes, schimmeliges Mauerwerk. Das Gitter wirkte nicht sehr massiv, aber sie war zu groß, um durch diesesLoch nach draußen zu gelangen. Ob sie nach Hilfe rufen sollte?
Sie wagte es nicht, denn die Chance, dass ihre Entführer die Einzigen wären, die es hörten, war zu groß. Wieder versuchte sie, eine ihrer Hände aus der Schlinge aus Klebeband zu ziehen, doch das Zeug rollte sich nur zusammen, dehnte sich aber nicht.
Pias Blick fiel auf ein Kellerregal aus Metall, das in der hintersten Ecke des Raumes stand. Vielleicht war der Winkelstahl scharfkantig genug, das Klebeband zu durchtrennen?
Bitte, bitte, bitte …, flehte sie im Stillen, während sie mit dem Rücken zum Regal stand und versuchte, das Klebeband an den Kanten des Regals aufzureiben.
Irgendwann, nach einer kleinen Ewigkeit, wie es ihr erschien, gab es einen Ruck, und ihre Hände waren frei. Sie bewegte sie langsam nach vorn, zog das durchtrennte schwarze Band von der Haut ab und fühlte, wie das Blut prickelnd und stechend in ihre tauben Arme fuhr. Sie bewegte langsam jeden einzelnen Finger, ließ die Handgelenke kreisen.
Ihr Kopf tat immer noch weh, aber immerhin konnte sie jetzt die beeindruckende Beule auf ihrem Hinterkopf betasten und sich dann einen Augenblick den schmerzenden Magen halten. Was zum Teufel hatten sie ihr in das Getränk geschüttet? Und wie war sie aus dem Sub herausbekommen, ohne dass Heidmüller hatte eingreifen können?
Sie ging nochmals zur Kellertür und spähte durch das Schlüsselloch. Der Raum oder Gang dahinter war unbeleuchtet. Es handelte sich um ein ganz einfaches Schloss. Mit einem spitzen Gegenstand …
Sie fühlte in den Taschen ihres Hosenanzuges, wo sich nichts weiter befand als ein zerknülltes Taschentuch, mit dem sie sich den Mund abwischte. Dann fing sie an, die Kartonszu öffnen und den Fußboden abzusuchen nach etwas, mit dem sie dieses Türschloss öffnen konnte. In den Kartons befanden sich nur Bücher, aber die Kartons waren geklammert, und Pia pulte ein paar der leicht rostigen Klammern aus einem der Kartons und bog sie gerade. Sie zerbrachen sofort. Sie suchte weiter und fand eine Rolle mit festem Draht in einer Ecke liegen. Damit müsste es gehen.
Sie ging vor dem Türschloss auf die Knie und steckte das Ende des Drahtes mit leicht zitternden Fingern in die Öffnung. Ein einfaches Türschloss sollte eigentlich kein Hindernis darstellen. Während sie verbissen in dem Schloss herumstocherte, horchte sie die ganze Zeit auf sich nähernde Geräusche. Während ihr dieser Ort anfangs grabesstill erschienen war, vernahmen ihre Ohren jetzt ab und zu entfernte Stimmen, ja sogar leise Musik. Wo immer sie sich auch befand, sie war nicht allein hier. Jeden Moment konnten ihre Entführer kommen. Sie musste von hier verschwinden, so schnell es ging.
Nach ein paar Minuten des Probierens ließ sich das Türschloss entriegeln. Vorsichtig öffnete sie die Kellertür und spähte in den dahinter liegenden Gang. Links führte eine Treppe nach oben. Durch den Spalt unter der Tür fiel Licht, und Pia hörte die Stimmen jetzt deutlicher. Sie tastete sich lautlos nach oben, nur um festzustellen, dass diese Tür ebenfalls verschlossen war. Dieses Schloss sah nicht so aus, als ließe es sich einfach so öffnen.
Vor Enttäuschung hätte sie beinahe aufgeheult und sie widerstand mühsam dem Impuls, zu schreien und gegen die Tür zu hämmern. Stattdessen trat sie möglichst lautlos den Rückzug an.
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