Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd
das war eine Lüge. Sie hasst mich. Sie hasst mich und meine Blutlinie und alles, was wir symbolisieren, denn ich bin die lebende Erinnerung an das, was sie verloren hat.“
„Sie waren das Kind, nicht wahr?“ Violet straffte ihre Schultern. „Deshalb sollten Sie Carls Leuchtfeuer sein. Und deshalb kam der Engel zu Ihrer Rettung. Sie sind der Sohn, den Asâêl mit der babylonischen Prinzessin gezeugt hat.“
Thomasz kicherte ein wenig. „Und mein Leben war ununterbrochen in höchster Gefahr. Ich war vermutlich das bestbewachte Kind in ganz Babylon, den Thronfolger einmal ausgenommen. Katherina, die sich damals noch Karathis nannte, erwies sich als rachsüchtig. Ihre Leidenschaft für Asâêl schlug um in blinden Hass, als sie den Betrug erkannte. Fortan lebte sie nur noch für ihre Rache.
Meine Mutter starb von der Hand eines Assassinen, als ich ein kleiner Junge war. Asâêl versteckte mich vor Katherinas Wut, bis ich alt genug war, um mich selbst vor ihren Häschern zu schützen. Ich habe das nie genau herausfinden können, aber ich glaube, sie war es selbst, die Asâêl in eine Falle lockte, damit seine Jäger ihn überwältigen und einkerkern konnten.
Als ich Mordechai geholfen habe, den Körper und den Seelenring eines Gefallenen ausfindig zu machen, wusste ich nicht, dass es Asâêl war. Aber sie fand es heraus und setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um die Erweckung zu verhindern.“
„Hasst sie ihn immer noch?“, fragte Gabriel. „Nach viertausend Jahren?“
„Sie ist verbittert. Manchmal tut sie mir leid. Sie hat das nie überwunden. Vielleicht hatte sie auch Angst, was er mit ihr anstellen könnte. Schließlich hat sie ihn eigenhändig zur Schlachtbank geführt.“
„Wenn er sich an ihr hätte rächen wollen, hätte er längst Gelegenheit gehabt.“
„Ja, vielleicht.“ Thomasz schloss die Augen. „Aber vielleicht liebt er sie noch immer. Vielleicht kann er nicht aufhören, sie zu lieben, auch wenn er sie eigentlich hassen müsste.“
27
„I
ch hoffe, du magst Blaubeermuffins.“
Violet drehte ihre Finger in Gabriels Hand. Schon vor der Begegnung mit Thomasz hätte sie sich ohrfeigen können für ihre Aufregung, doch jetzt, vor dem Haus ihrer Mutter, schlug ihr das Herz bis zum Hals.
„Das hast du mich schon mal gefragt.“ Gabriel küsste sie auf die Wange. „Ich kann mich in der Gegenwart von älteren Damen benehmen, okay? Es wird sie schon nicht der Schlag treffen.“
Sie musste zugeben, er hatte sich Mühe gegeben mit seiner Garderobe, die ihr den Atem verschlug, wann immer sie ihn anblickte. Das graue Hemd zu seinen eleganten schwarzen Hosen stand ihm ausgezeichnet. Und italienische Lederschuhe. Sein Haar fiel ihm so weich und glänzend auf die Schultern, dass sogar Marshall neidisch geworden wäre.
Er sah aus wie ein Fortune 500 Unternehmer von der Titelseite des Wallstreet-Journals. Mit seiner Bandana hatte er auch den letzten Rest seines East-L.A.-Gangster-Habitus im Fußraum des Wagens verstaut.
Mom öffnete die Tür, bevor Violet die Hand heben und anklopfen konnte. Ihre Augen waren gerötet, als hätte sie geweint. Obwohl einige Wochen vergangen waren, war Emilys Tod noch frisch. Mom ging es nicht gut.
Doch nun hellte sich das Gesicht ihrer Mutter auf, ein Lächeln breitete sich zwischen den Fältchen aus. Violet legte ihre Arme um sie und verharrte, atmete den Geruch von Lavendel und Kernseife und blinzelte verstohlen zur Verandabrüstung. Sie wollte noch ein paar Wochen warten, bevor sie Mom die Handwerker auf den Hals schickte. Vor wenigen Tagen hatte sie Marshall überredet, einen Teil des Erlöses aus den Diamantohrringen zu nehmen, um endlich aufs College zu gehen und Informatik zu studieren. Doch es war immer noch so viel übrig, dass sie Moms Haus gleich zweimal renovieren konnte.
„Das ist Gabriel“, sagte sie mit hochrotem Kopf. Es war hoffnungslos. Sie fühlte sich wieder wie die Fünfzehnjährige, als Mom die Cops gerufen hatte.
Gabriel verbeugte sich leicht, nahm die Hand ihrer Mutter und hauchte einen formvollendeten Kuss darauf. Einen von der alten Schule, bei der die Lippen die Haut nicht berühren. Noch während er sich aufrichtete, zauberte er eine Margerite hervor, die er im Nachbargarten abgerissen hatte, und reichte sie ihr.
Moms Wangen nahmen einen rosigen Ton an. Sie zupfte an ihren sorgfältig gelegten Locken und murmelte etwas davon, wie erfreut sie sei, ihn kennenzulernen.
Violet verschlug es die Worte. Doch das war nicht schlimm.
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