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Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Titel: Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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bildete. Noch immer war sie nackt und die Klimaanlage blies kalte Luft in den Raum.
    „Wie du meinst.“ Sie löschte das Licht. „Wenn du lieber auf dem Boden schlafen willst, dann schlafen wir auf dem Boden. Kein Problem.“ Ihr Kopf schwamm ein wenig, schmerzte aber nicht mehr. Die Erleichterung nach der Anspannung der letzten Stunden fühlte sich an wie ein milder Rausch. Sie zog die Decken von der Couch herunter und ließ sich neben Gabriel auf den Teppich sinken. Ihr Oberschenkel schmiegte sich an seinen, ihre Hand tastete sich in sein Haar. Gott, sie hatte ihn so vermisst. Dabei hatten sie lediglich eine Nacht miteinander verbracht. Sie kannten sich kaum. Oder war das die Art von Band, das entsteht, wenn man gemeinsam dem Tod ins Auge blickt?
    Da klaffte ein Loch in ihrer Seele, dessen Existenz sie zuvor nicht einmal geahnt hatte. Vielleicht weil Gabriel es war, der die Kluft erst aufgerissen hatte. Weil er die Leere auf der anderen Seite vertrieb, einfach dadurch, dass er neben ihr lag und atmete und sie mit der Wärmeseines Körpers einhüllte. Und vielleicht, nur vielleicht, hatte es ja doch etwas zu bedeuten, dass er ihre Libellenkette gefunden und ihr zurückgebracht hatte, den ganzen weiten Weg von der Wüste bis hierher.

    Etwas kitzelte Gabriels Wange, als er erwachte. Es war ein angenehmes Gefühl, wie Schmetterlingsflügel. Weicher Atem an seiner Haut. Glänzend schwarze Haarsträhnen. Dann brach die Erinnerung über ihn herein. Katherina, der Kampf in der Galerie, die beiden Gardisten, die ihn von der Brücke gestoßen hatten, Stunden im Delirium, der Gestank der Kanäle. Dazwischen große Flecken von Schwarz. Er erinnerte sich an Violet, erinnerte sich genau. Er hatte sie beim Sturz von der Brücke vor Augen gehabt.
    Doch warum ...
    Er drehte den Kopf und konnte nicht glauben, dass sie es war. Der Schlaf verlieh ihrem Gesicht eine verletzliche, beinahe ätherische Schönheit. Ihre Nase und die Linie ihres Kinns waren fein geschnitten. Ein winziges Muttermal saß oberhalb ihres Mundwinkels, ein zweites an der Schläfe. Er betrachtete ihre Wimpern, die pechschwarz waren und zarte Schatten auf ihre Haut zeichneten. Die Unwirklichkeit dieses Moments überwältigte ihn. Das musste ein Fiebertraum sein. Sein Geist hatte sich vom sterbenden Leib gelöst und in diese Fantasie geflüchtet. Doch wenn es eine Illusion war, dann eine von bemerkenswerter Intensität. Phantomschmerzen hallten durch seinen Körper, die Echos seiner Verletzungen vor der Transformation. Dabei hatte er geglaubt, sein Organismus sei zu schwach für die Heilung, weil er zu viel Blut verloren hatte.
    Was immer nach dem Sturz mit ihm passiert war, hatte nur schemenhafte Abdrücke in seinem Gedächtnis hinterlassen. Er tastete nach der Stichwunde in der Seite und fand unversehrte Haut. Also hatte tatsächlich eine Transformation stattgefunden, eine echte Transformation, nicht nur das kraftlose Aufbäumen seines zu Tode verwundeten Körpers in den Abwasserkanälen.
    Wann war das geschehen? Wie viel Zeit war vergangen, seit er in den stinkenden Fluten das Bewusstsein verloren hatte? Vor allem aber, wie war es möglich, dass er neben dieser Frau erwachte und nicht auf einer Sandbank irgendwo in den Eingeweiden der Stadt?
    Sie regte sich leicht, ihr Bein schmiegte sich gegen seine Hüfte, die unglaubliche Sinnlichkeit ihrer Haut auf der seinen. Hitze überflutete ihn, als ihm bewusst wurde, dass er nackt war und dass ...
    Seine Hand tastete unter die Decke, fand ihre Schulter, strich über ihren Rücken die Wirbelsäule und tiefer hinab bis zu ihren Hinterbacken. Die ebenfalls nackt waren. Feuer sammelte sich in seinem Unterleib. Seine Erektion pochte mit schmerzlicher Intensität. Violets Oberschenkel an seiner Hüfte war so präsent, dass er an nichts anderes mehr denken konnte. Ihr Atem an seiner Wange glich einer süßen Folter. Wie erstarrt lag er neben ihr. Er traute seinem Körper nicht. Seine Selbstbeherrschung schwankte wie Seidenpapier vor einer offenen Flamme. Doch wenn er seiner Lust nach ihr nachgab und sie im Schlaf überfiel, dann war er nicht mehr als ein Tier, das ihren Abscheu verdiente.
    Es war ihm ohnehin unbegreiflich, wie sie neben ihm schlafen konnte, nachdem er sie so offen bedroht hatte. Das war ein hässlicher Abschied gewesen und nichts, auf das er stolz war. Vielleicht hatte Katherina recht, wenn sie ihn einen verantwortungslosen Egozentriker nannte. Er war nicht gut im Umgang mit anderen Menschen, hatte nie

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