Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd
schneide dir die scheiß Hose vom Leib“, keuchte sie, während sie an einem Bein zerrte. „Dafür schuldest du mir was, ist das klar?“
Sie zog am anderen Bein, dann wieder am Saum und schaffte es schließlich, ihn aus der klammen Hülle zu befreien. Darunter trug er nur noch seine Calvin-Klein-Shorts. „Und glaub mir, Pancakes werden diesmal nicht reichen.“ Sie tastete über die schwarze Baumwolle, die ebenso durchweicht war wie der Rest seiner Garderobe. „Runter damit!“
Ihre Kehle verengte sich, als er nackt vor ihr lag, wie aus Marmor geschlagen und schön wie ein sterbender Gott. Sie entdeckte die dritte Wunde, die schlimmer war als die anderen beiden. Ein klaffender Schnitt, der ihm die Arterie zerfetzt hatte, zog sich vom Ansatz seines Oberschenkels bis hinunter zum Knie. Er musste enorm viel Blut verloren haben. Welcher Mensch konnte solche Wunden überleben?
„Aber du bist ja kein Mensch, nicht wahr?“ Unschlüssig starrte sie auf ihn hinab. „Was mache ich jetzt mit dir?“
Gabriel war unterkühlt. Vielleicht brauchte er Wärme, um den mysteriösen Heilprozess in Gang zu bringen. Sie konnte kaum glauben, dass ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging. Aber was sollte sie tun? Der Beweis, dass sie nicht übergeschnappt war, lag blutend vor ihr in den Polstern ihres Sofas.
Heißes Wasser vielleicht. Wahrscheinlich war es sowieso eine gute Idee, ihm den Dreck vom Leib zu waschen. Sie ließ eine Schüssel volllaufen, holte Seife und Handtücher aus dem Bad und machte sich ans Werk. Blut und Dreck verfärbten das Wasser, bevor sie über seinen Oberkörper hinausgekommen war. Sie goss es aus, füllte die Schüssel erneut und fluchte, weil sie nicht kräftig genug war, um Gabriel ins Bad zu schleppen. Erst, nachdem sie die unverletzten Stellen seines Körpers gereinigt hatte, tupfte sie die Wunden ab. Rötliches Wasser tropfte auf den Boden und verwandelte den Teppich in einen Klumpen feuchte Wolle. Wenigstens die Sofapolster waren aus Leder, die konnte sie abwischen.
Zuletzt raffte sie zwei Wolldecken und die Daunendecke von ihrem Bett und schleppte alles zurück ins Wohnzimmer. Bis zum Kinn hüllte sie ihn darin ein. Eine Zeit lang starrte sie ihn an, dann wanderte sie rastlos durch die Wohnung. Sie stellte sich unter die Dusche, halb in Panik, dass er ausgerechnet innerhalb dieser zehn Minuten sterben könnte. Doch er atmete noch, als sie mit einem Handtuch um die Haare zurückkehrte und nach seinem Puls tastete. Sie setzte Kaffee auf und schlug Zeit damit tot, ihre Pistole zu reinigen. Schließlich legte sie die Browning auf das Tischchen zurück und nahm die Kette mit dem Libellenanhänger in die Hand.
Warum war er nach L.A. gekommen? Die Bilder ihres Streites stiegen wieder in ihr auf, Gabriels unmäßige Wut, als sich herausstellte, dass Emily ihre Schwester war. Ihr kam ein schrecklicher Gedanke. Was, wenn er nach Emily suchte? Er hatte gedroht, sie zu töten. Vielleichtwar die Kette Teil eines Plans? Vielleicht brauchte er einen Köder?
Die nagenden Kopfschmerzen, die sich schon im Auto angekündigt hatten, flammten jetzt auf zu voller Stärke. Ihre Augen brannten. Sie wühlte die Tylenolpackung aus der Küchenschublade und würgte zwei Kapseln hinunter. Tatsache war, sie wusste es nicht. Das alles war Spekulation. Sie wusste auch nicht, wer ihn so zugerichtet hatte. Ihre Verfolger aus den Kanälen kamen ihr in den Sinn. Aber die hatten Schusswaffen gehabt und Gabriels Wunden stammten von einer Klinge. Mit einer Hand fuhr sie unter Gabriels Decke, berührte sein Schlüsselbein, die Schulter, strich seinen Arm hinunter. Er zuckte nicht einmal unter ihrer Berührung. Noch immer war er eiskalt. Als könne sein Körper nicht den kleinsten Funken Wärme produzieren.
Verdammt.
„Okay, letzter Versuch“, flüsterte sie. „Und bilde dir bloß nichts ein.“ Mit raschen Bewegungen streifte sie sich die Kleider vom Leib. „Zum Glück wurden wir uns ja schon vorgestellt.“
Sie schlüpfte unter die Daunen und presste sich gegen seinen Körper, bedeckte ihn, umschlang ihn mit den Beinen. Ihre Wange drückte in die Vertiefung unter seinem Kinn, leicht kratzten seine Bartstoppeln an ihrer Schläfe. Sie fasste nach seinen Händen und verschlang ihre Finger mit seinen. Die Intimität dieser Berührung war so intensiv, dass es schmerzte. So lag sie, lauschte seinem schwachen Herzschlag und spürte seinen Atem in ihrem Haar. Sie ertastete den Ring an seiner Hand, fuhr die Linien des Steins nach,
Weitere Kostenlose Bücher