Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Titel: Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
Vom Netzwerk:
begriff sie nicht, was sie da sah. Eine dunkle Masse türmte sich vor ihr auf. Eine Masse aus verschlungenen, verkrümmten, aufgedunsenen Leibern. Licht und Schatten schufen eine beängstigende Illusion von Lebendigkeit. Als sie begriff, weigerte sich ihr Verstand zunächst, es anzunehmen und versuchte, sie zu überzeugen, dass es das Licht war, eine Anhäufung von Steinen, einfach ihre wahnsinnige Fantasie.
    „Dort drüben“, sagte Gabriel, „sind noch mehr.“
    Hinter ihnen polterte Keith den Abhang herunter. Steinchen spritzten über den Boden.
    „Scheiße“, brach es aus Keith heraus, „was zur Hölle ist das?“
    Violet kämpfte gegen den Würgereiz, der sie zu überwältigen drohte. Plötzlich erschien ihr der Gestank so unerträglich, dass sie nicht mehr atmen konnte. Sie hatte sich stets für abgehärtet gehalten, für keine von den Miezen, die zwar stolz ihre Copuniformen trugen, beim Anblick von Blut und verspritzter Hirnmasse aber sofort weiche Knie bekamen. Doch das hier hätte selbst einen gestandenen Veteranen aus der Fassung gebracht. Das Grauen übertraf alles, was sie je in ihrer Zeit bei der DEA gesehen hatte. Und dennoch konnte sie ihren Blick nicht abwenden. Sie leuchtete über die verrottenden Kadaver wie ein Roboter, der in einer Endlosschleife gefangen ist und starrte auf Schädel, Hände, Füße und Torsi, bei denen sich das Fleisch von den Knochen löste und Rippenbögen gespenstische Schatten warfen.
    Sie spürte Gabriels Hände an ihren Schultern, doch konnte sich nicht rühren, auch nicht, als er sie zu sich umdrehte und ihr die Taschenlampe entwand.
    „Deine Schwester ist nicht dabei.“
    Sie brauchte eine Weile, um zu realisieren, was er gesagt hatte. Ein zweiter Schock schoss durch ihren Körper. Dieser Gedanke war ihr noch nicht gekommen. Der pure Anblick des grausigen Fundes hatte sie so überwältigt, dass sie nicht darauf gekommen war, die Leichen mit VORTEC in Verbindung zu bringen.
    „Oh Gott.“ Sie fror und glühte zugleich. Und dieser Pesthauch brachte sie um den Verstand. „Wie viele liegen da?“
    „Mindestens zwanzig.“ Seine Hände rieben über ihre Arme, warm und mit beherrschter Kraft. „Weiter hinten gibt es noch mehr, aber die sind älter. Von denen ist nicht mehr viel übrig.“
    „Ich kenne zwei von ihnen“, sagte Keith. Seine Stimme klang flach und tonlos.
    Ein Teil von Violets paralysiertem Verstand fragte sich, wie er das in der Dunkelheit sehen konnte.
    „Miro und Asher. Beide vom Blut.“

    Gabriel musste Violet mit Gewalt zurück auf die andere Seite des Schutthaufens zerren. Sie beharrte darauf, dass es hier irgendwo einen Durchstieg geben musste. Doch der Kanal endete vor einer Wand aus Stahlbeton mit einem halben Dutzend vergitterter Rohröffnungen, die so schmal waren, dass kaum ein Hund hindurchpasste. Es gab keinen geheimen Zugang in die VORTEC Labore. Außer den Leichen war hier nichts.
    Violet zog dennoch ihren handgezeichneten Grundriss heraus und starrte auf die Linien, als könne sie ihnen ihr Geheimnis mit purer Willenskraftentreißen. Er las das stumme Entsetzen in ihrem Blick und hasste sich selbst. Er hätte nicht zulassen dürfen, dass sie über die Schutthalde stieg. Gedankenloser Idiot, der er war, hatte er sie auch noch ermutigt, sich die Kadaver anzusehen.
    Schließlich wand er ihr den Papierfetzen aus den Fingern, starrte darauf und kam endlich zum Schluss, dass sie sich doch in der Richtung geirrt hatten und das VORTEC Gebäude am anderen Ende der Katakomben lag.
    Der Marsch zurück verlief in gedrücktem Schweigen. Sowohl Violet als auch Keith verströmten eine Aura schockstarren Entsetzens. Schuldgefühle überlagerten Gabriels Denken. Dabei musste er eine Antwort auf diese andere Frage finden, die in seinem Hinterkopf herumgeisterte.
    Viel stärker als die menschlichen Leichen beschäftigte ihn der Rattenkadaver, den er lange genug betrachtet hatte, um zu wissen, dass etwas nicht damit stimmte. Keith hatte den toten Tieren keine Aufmerksamkeit geschenkt, aber er hatte sich auch nicht erst durch ein Rudel dieser kleinen Aasfresser schlachten müssen. Nicht nur, dass die Ratten sich viel zu aggressiv gebärdet hatten, sie sahen auch merkwürdig aus. Größer und kräftiger als gewöhnliche Ratten. Vielleicht nur eine weitere Mutation, wie sie hier unten immer wieder einmal vorkam, bei all der Chemie, die in den Abwässern schwamm. Doch dieser spezielle Kadaver war zudem mit Geschwüren übersät gewesen. Gabriel wusste nicht

Weitere Kostenlose Bücher