Engelskraut
Gewässer. Daneben gab es von Menschen konstruierte und angelegte Parkanlagen, gezähmte Natur, die genauso schön anzusehen war. Der Naturbegriff beinhaltete ebenso die Entwicklungsprozesse, die hinter dem äußerlich Sichtbaren abliefen. Die Betrachtung der Lebensprozesse hatte auch damit zu tun, inwieweit eine materialistische oder eine mehr religiös geprägte Weltanschauung das Denken und den Umgang der Menschen miteinander bestimmte.
Über diese Phänomene hatten Ellie und er sich vielfach ausgetauscht und sie waren, soweit er sich erinnerte, in vielem einer Meinung gewesen. Als jedoch das erste Kind kam, da wollte sie plötzlich, dass er sämtliche Giftpflanzen aus dem Garten entfernte. Über den Goldregen und den Seidelbast hatte er noch mit sich reden lassen, obwohl er die Blüten dieser beiden Gewächse liebte. Aber der Goldregen war schon alt und seine Äste dürr gewesen. Von ihm konnte er sich leicht trennen. Die hohen Eiben auszugraben, hatte er Ellie schließlich ausreden können. ›Man kann ein Kind durchaus dazu erziehen, aufzupassen‹, hatte er gemeint, woraufhin sie ihn strafend ansah. ›Wenn meine Tochter auch nur eine Beere verschluckt, ist es vielleicht schon zu spät. Du weißt doch, dass Kinder alles in den Mund nehmen.‹
Er hatte versucht, Ellie klarzumachen, dass sie dann den gesamten Garten roden müssten. Dass fast jede Pflanze, egal wie harmlos, giftige Anteile in sich trug. Man brauchte nur an die Kartoffel zu denken, ein Nachtschattengewächs. Wollte Ellie deswegen keine Kartoffeln mehr pflanzen, weil Kraut und Blüten giftige Beeren produzierten?
Natürlich hatte sie nicht klein beigegeben. Das hätte nicht ihrem Naturell entsprochen. ›Ja, ja, ich weiß. ›Alle Ding sind Gift und nichts ohn’ Gift ; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.‹ Aber dein Paracelsus hatte keine kleinen, wuseligen Kinder, die auf allem, was sie finden können, herumkauen.‹
Sie hatten sich schlussendlich darauf geeinigt, dass beide Eltern auf die Töchter achteten, wenn sie im Garten spielten. Doch Marie und Charlotte waren offenbar nie in Versuchung gekommen, an einer Eibenbeere oder einem giftigen Blütenstängel zu naschen. Inzwischen waren sie zu zwei hübschen jungen Damen herangereift, beide noch im Studium, und er bekam sie viel zu selten zu Gesicht.
Manchmal wünschte er, sie würden sich öfter daran erinnern, dass sie einen allein lebenden Vater hatten, aber dann dachte er an seine eigene Jugend und wie er es ausgekostet hatte, endlich nicht mehr unter der väterlichen Fuchtel zu stehen.
Sehr oft hatte er sich gefragt, was ohne Ellie aus ihm geworden wäre. Wahrscheinlich ein ganz anderer Mensch. Der Nachteil solch einer engen Verbindung war, dass ihm der Verlust besonders schmerzlich bewusst wurde, wenn es um Veranstaltungen ging, die sie früher grundsätzlich gemeinsam besucht hatten.
Trotz dieses Wermutstropfens hatte er die Auftaktveranstaltung der BUGA beeindruckend gefunden und sich darüber gefreut, wie fantasievoll man mit den Losen und Flächen umgegangen war, auch, wie gekonnt man Neues in die vorhandenen Gegebenheiten eingebettet hatte.
An diesem Tag mit der Seilbahn über dem Rhein zu schweben, hoch nach Ehrenbreitstein, das war ein erhebendes Gefühl. Obwohl er die Fahrt schon einmal im letzten Jahr angetreten hatte, als die Bahn für ein paar Sommermonate in Betrieb genommen worden war, war es diesmal etwas anderes. Nachdem er den Fuß oben auf die Erde gesetzt hatte und die vielen blühenden Tulpen ringsum sah, fühlte er sich einen Moment lang nach Amsterdam versetzt, wohin er einmal eine unvergessliche Kurzreise mit Ellie unternommen hatte.
Die historischen Gärten auf dem Festungsplateau, die beredtes Zeugnis über frühe und sehr frühe Gartengestaltungen gaben, hatten ihm ebenfalls gefallen. Magisch angezogen hatte ihn der Themen-Friedhof mit den fiktiven Lebensdaten auf den Grabsteinen, die ihn zum Nachdenken brachten. Wie lange es noch dauern würde, bis er unter einer solchen Grabplatte verschwand? Gespräche über den Tod hatte er oft mit Ellie geführt, besonders, nachdem sie krank wurde. Nie hatte sie ihren Zustand verleugnet, sie war der Krankheit mit allem, was sie bedeutete, tapfer entgegengetreten. Sie hatten auch besprochen, wo sie beerdigt werden wollte. Für ihn war es selbstverständlich, dass man seinen Leichnam neben Ellies betten würde. Aber konnte ihm das eigentlich nicht egal sein, da er das dann sowieso nicht mehr
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