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Engelskraut

Engelskraut

Titel: Engelskraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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meinte es wirklich ernst! Fieberhaft überlegte sie, wie sie ihn weiter hinhalten konnte. ›Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich mir ernsthafte Sorgen um dich mache? Dass ich mich in gewisser Weise verantwortlich fühle?‹
    ›Das brauchst du nicht. Die Dinge sind, wie sie sind. Wenn ich mein Leben beende, so tue ich das in vollem Bewusstsein. Ich brauche niemanden zu fragen. Das ist eine große Freiheit.‹
    ›Nein, das ist eine Lüge.‹
    ›??‹
    ›Du machst dir selbst was vor. Es gibt Menschen, die dir helfen können.‹
    ›Ach, ich dachte, wir seien Seelenverwandte. Und auf einmal gibst du die Mutter Teresa.‹
    ›Können wir nicht telefonieren?‹
    ›Ich glaub, es ist besser, wir beenden das Ganze hier …‹
    ›Denkst du denn gar nicht an deine Familie?‹
    ›Was weißt du denn schon von meiner Familie?‹
    ›Und deine Freunde?‹
    ›Welche Freunde? Komm, Angelheart. Das hat keinen Zweck. Wir zögern das Ganze nur hinaus.‹
    ›Nein, warte!‹
    ›Wozu? Du weißt, wovon ich rede. Du bist vom gleichen Schlag.‹
    ›Ja, und deshalb glaube ich auch an das Leben.‹
    ›Dann sind wir eben doch zu unterschiedlich. Ich glaube an den Tod. Mach’s gut, Angelheart. Und denk an mich, wenn du Evanescence hörst. Meet you somewhere.‹
    ›Blackangel?‹ Sie starrte so lange auf den leeren Bildschirm, bis ihre Augen tränten. Noch eine ganze Weile blieb sie sitzen, doch es kamen keine Worte mehr. Blackangel hatte sich verabschiedet. So wie es aussah, für immer.
    Nein, nein, nein!
    Tränen liefen ihre Wangen hinab. Es durfte sich nicht alles wiederholen. Oder doch? War diese Welt wirklich nur eine Wiederholung des immer Gleichen? Geboren werden, sterben, und irgendetwas Merkwürdiges dazwischen? Eine Achterbahn der Gefühle. Ein endloser Kampf, den man Leben nannte.
    Blackangel hatte Schluss gemacht. Sie wusste, dass er es ernst meinte. So wie Eric damals. Eric. Ihr Herz verkrampfte sich noch mehr. Doch sie verbot sich, weiter diesen Gedanken, die sie von innen heraus vergifteten, nachzuhängen. Sie musste etwas tun. Irgendetwas, das die aufsteigenden Bilder vertrieb. Das das Gefühl der Schuld auslöschte.
    Wie verrückt hackte sie auf die Tastatur ein und loggte sich in ein anderes Forum ein. Plötzlich sah sie, dass Tomtiger online war. Der Bastard, der Dreckskerl. Er hatte sein Profil nicht gelöscht. Wie eh und je war er auf Beutezug.
    Der scharfe Schmerz, der sie durchzuckte, war schier unerträglich.

9
    »Ein Mann um die 60. Lag tot im Bett. Verdacht auf Suizid.« Hinterhuber stand vom Schreibtisch auf und nahm seinen Lodenjanker mit den Hirschknöpfen von der Rückenlehne. Es musste abgeklärt werden, ob es sich tatsächlich um einen Suizid handelte oder ob jemand nachgeholfen hatte. Es war eine wenig bekannte Tatsache, dass in Deutschland wesentlich mehr Menschen durch vollendeten Suizid zu Tode kamen als durch Verkehrsunfälle oder Mord.
    »Kann ich mit?«, fragte Clarissa. Sie schob einen Kaugummi im Mund hin und her. »Ich hab noch nie einen Toten gesehen.« Sie äußerte das in der Art, wie man sagt: Ich hab noch nie Himbeereis gegessen.
    »Mit Kaugummi?«
    Clarissa fasste sich in den Mund und entsorgte die klebrige Masse im Abfallkorb.
    Franca konnte sich genau an ihre erste Leiche erinnern. Der Anblick hatte sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis gefressen. An einem brütend heißen Tag wurde in der Koblenzer Innenstadt ein älterer Mann in einer völlig verwahrlosten Wohnung aufgefunden. Der Mann, der Alkoholiker gewesen war, lag, mit einer Unterhose bekleidet, in einem schäbigen Ohrensessel. Fliegen krabbelten auf ihm herum, der Fernseher lief und es stank entsetzlich.
    Seitdem hatte sie während ihrer beruflichen Laufbahn weitaus Schlimmeres ansehen müssen, doch diesen Anblick wurde sie nie mehr los. Urplötzlich, manchmal in den friedlichsten Momenten, schob sich das Bild dieses toten Mannes in ihre Gedanken. Ob Clarissa ihre erste Leiche auch nie vergessen würde?
    Die Praktikantin trug einen schwarzen Ballonrock, dazu ein rotes, ziemlich tief ausgeschnittenes T-Shirt. Im Dekolleté baumelte eine mehrfach geschlungene Modeschmuckkette. Am liebsten hätte Franca gesagt: Nicht in diesem Aufzug!
    Hinterhuber gab sich verständnisvoll. »Leichen sind nie was Schönes«, bemerkte er, während er die Autoschlüssel einsteckte. »Aber ich denke, das können wir dir zumuten.«
    Clarissa schlang sich ein buntes Seidentuch um den Hals und zog einen leichten Sommermantel über. So wirkte

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