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Engelskraut

Engelskraut

Titel: Engelskraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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sie nun doch ziemlich angemessen gekleidet.
    Zu dritt fuhren sie zu der angegebenen Adresse, einem in dezentem Gelb gestrichenen Hochhaus in der Südstadt mit vielen Balkonen.
    Auf ihr Klingeln wurde sofort geöffnet. Der Fahrstuhl brachte sie hoch in den vierten Stock.
    Die Tochter des Mannes, eine verhärmte Frau mit tief eingegrabenen Falten um Mund und Augen, öffnete ihnen die Tür und bat sie wortlos herein. Die Wohnung wirkte wegen mangelnden Lichteinfalls düster, ein Eindruck, der durch die dunklen Eichenmöbel verstärkt wurde. Alles war ordentlich aufgeräumt, nichts lag herum. Sie gingen hinter der Frau her bis zum Schlafzimmer.
    »Hier liegt er«, sagte Angelika Danziger tonlos. Sie drehte den Kopf weg und hob die Hand vor den Mund, ein ersticktes Schluchzen drang hervor.
    Der Mann lag vollständig bekleidet auf dem Bett. Er trug eine schwarze Hose und ein weißes Hemd. Die Füße steckten in schwarzen Socken. Die Hände waren locker über dem Bauch gefaltet. Sein Kopf ruhte auf einem bestickten weißen Kissen. Die Augen waren geschlossen. Ein Bild der Ruhe und des Friedens. Als ob er nur schlafen würde.
    Auf dem Nachttisch neben dem Bett brannte eine Kerze.
    »Hat er die selbst angezündet?«, fragte Hinterhuber.
    Die Tochter nickte. »Sie brannte, als ich ihn gefunden habe. Endlich hat er seinen Frieden.« Sie bekreuzigte sich, hob den Kopf und sah von einem zum anderen. »Ich weiß nicht, warum man Sie hergeschickt hat. Er hat schon lange davon gesprochen, sich umzubringen. Es war nur eine Frage der Zeit.«
    Ihr Blick blieb an Clarissa haften, die in diesem Zimmer wie eine exotische Blüte wirkte. Das bunte Seidentuch hatte sie so zurechtgezogen, dass es ihren Ausschnitt verdeckte.
    »Hatte er eine unheilbare Krankheit?«, erkundigte sich Franca.
    »Er hatte große psychische Probleme«, antwortete die Frau. »Das Leben mit ihm war nicht einfach, drücken wir es mal dezent aus.«
    »Sie haben zusammengelebt?«, wollte Hinterhuber wissen.
    »Ich bin seine Tochter«, die Frau stieß einen Laut aus, der wie heiseres Röcheln klang. »Diese Krankheit hat er ja nicht erst seit gestern. Ich wohne ein paar Straßen weiter und habe jeden Tag nach ihm gesehen, obwohl er …« Sie beendete den Satz nicht. »Es ist gut, wie es ist«, murmelte sie.
    »Wie hat sich seine Krankheit geäußert?«, wollte Franca wissen.
    »Das ist nicht leicht zu erklären.« Angelika Danziger seufzte tief auf. »Eine Persönlichkeitsstörung, haben die Ärzte gesagt. Er war in sich selbst zerrissen. Mal ging es hüh, mal ging es hott. Manchmal hatte er schreckliche Wutausbrüche und hat uns wüst beschimpft. Dann hat es ihm wieder leidgetan, und er hat uns in den Arm genommen und fest an sich gedrückt. Man wusste nie, woran man bei ihm war. Mal ging es ein paar Tage gut und dann freuten wir uns, weil er so nett war, aber es kam garantiert bald wieder ein Absturz. Dann hat er stumm dagesessen, vor sich hingestarrt und jeden angekläfft, der in seine Nähe kam. Kritik hat er überhaupt nicht vertragen. Er war rechthaberisch und hat einem das Wort im Mund herumgedreht. Ging etwas schief, waren es immer die anderen.« Sie presste die Lippen aufeinander und schluckte hart. »Als Kind hab ich mich immer nur geduckt. Weil ich nie wusste, wie er drauf war. Wie hab ich um ein bisschen Liebe gebettelt. Und kriegte immer nur einen vor den Bug. Ein Scheißleben. Meine Mutter hat das nicht ausgehalten, sie ist irgendwann gegangen. Und wer war schuld?« Sie lachte bitter. »Alle, nur er nicht.« Die Frau sah klagend in die Runde. »Natürlich war mir klar, dass er gelitten hat. Aber musste deswegen sein ganzes Umfeld leiden? – Wenn einer immer wieder davon spricht, sich umzubringen, kann man das irgendwann nicht mehr hören.« Ihre Brust hob und senkte sich in heftigen Atemstößen. »Weil man mit den Nerven vollkommen am Ende ist.«
    »War er nicht in Behandlung?«
    Angelika Danziger war sichtlich erregt, ihre Bewegungen waren fahrig. »Doch. Eine Zeit lang ging es ganz gut mit Tabletten, aber seit einigen Jahren halfen die nicht mehr so richtig. Vielleicht hat er sie auch nicht regelmäßig eingenommen. Er hat sich um nichts mehr gekümmert. Manchmal saß er noch abends im Morgenmantel da. Wenn ich nicht jeden Tag nach ihm geschaut hätte, hätte er nicht mal was gegessen. Meistens hat er am Computer gesessen und wollte nicht gestört werden. Ich kam mir vor wie ein lästiger Hund.« Die Frau wischte sich mit einem Papiertaschentuch über

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