Engelskraut
18-jährigen Jugendlichen, und begann sofort mit der Reanimierung, die letztendlich erfolglos blieb.
Am Rheinufer stieß die Polizei auf eine völlig aufgelöste junge Frau, die angab, eine Freundin des Jugendlichen zu sein. Sie konnte keinerlei Erklärung dafür abgeben, weshalb ihr Freund ins Wasser gefallen war. Bei dem jungen Mann wurde ein Alkoholspiegel von 1,3 Promille festgestellt.
Die unter Schock stehende Frau wurde von einem Opferschutzteam der Polizei betreut.
Es waren zwar keine Namen genannt, aber vom Zeitpunkt her musste es sich bei dem ertrunkenen Jugendlichen um Mecky gehandelt haben.
Nach allem, was Franca bisher über Milla wusste, war es mehr als wahrscheinlich, dass sie die ›aufgelöste junge Frau‹ am Rheinufer war.
Dass Milla ernsthaft krank war, daran hatte Franca keinerlei Zweifel mehr. Ihre einstige Mitschülerin hatte sich vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan gemausert. Mit ihrem ansprechenden Äußeren konnte sie Männer für sich gewinnen, die sie vorher nicht beachtet hatten. Vielleicht hatte sie auf diese Weise auch Meckys Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Dass man sich mit Milla angeregt unterhalten konnte, hatte Franca öfter erfahren. Sie dachte an die verschiedenen Treffen mit ihr, an den intensiven Gedankenaustausch, der zwar manchmal etwas Inquisitorisches hatte, jedoch ihr stets das Gefühl vermittelte, eine faszinierende und höchst interessante Gesprächspartnerin als Gegenüber zu haben.
Milla war eine glänzende Manipulatorin, eine, die keinerlei Hemmungen hatte, auch intime Fragen zu stellen. Und da waren diese irritierenden Augenblicke gewesen, kurze Momente, in denen ihr wahres Ich zum Vorschein kam. Wenn sie fordernd wurde, gemein, bösartig. Wenn man sie nicht gebührend beachtete, wenn man sie zurückwies oder sie in anderer Weise verletzte. Dann folgte umgehend die Strafe.
Sollten Narzissmus und krankhafte Rachsucht die Hauptantriebskräfte ihres Lebens geworden sein? Mussten Harald Rütting und Jürgen Klaussner sterben, weil sie ihr wehgetan und ihr angeschlagenes Ego gekränkt hatten? Was, wenn die Verletzung und Kränkung nur in Millas Kopf stattgefunden hatte? Franca hielt den Atem an. Vielleicht gab es weitaus mehr Menschen, die sie auf diese Weise abgestraft hatte. Franca wagte nicht weiterzudenken.
Millas Computer war mittlerweile beschlagnahmt worden, aber lange nicht vollständig ausgewertet. Es waren zu viele Daten, die gesichtet und geprüft werden mussten und die Dutzende von Aktenbänden füllen würden. Milla musste unzählige Stunden an ihrem Computer verbracht haben, sie war in Kontaktbörsen und sozialen Netzwerken unter den unterschiedlichsten Namen angemeldet. Offensichtlich hatte sie das Internet als ihr Jagdrevier angesehen und war regelmäßig auf Beutezug gegangen.
In ihrem Haus waren etliche Perücken gefunden worden, die belegten, dass sie sich immer wieder aufs Neue verwandelte. Fotos, die sie, solcherart verkleidet, von sich schoss, stellte sie ins Netz und erfand dazu neue Profile. Kein Foto ähnelte dem anderen, so geschickt war sie vorgegangen. Dass sie bei all diesem Treiben ungehindert den WLAN-Zugang eines ahnungslosen Nachbarn benutzte, unterstützte ihr krankhaftes Tun.
Das Telefon klingelte. Franca nahm ab.
»Haben Sie einen Moment Zeit?«, fragte Irene Seiler.
»Für Sie doch immer.« Franca klemmte sich den Hörer zwischen Kinn und Schulter.
»Ich habe gerade die Analyseergebnisse von diesem Traumtee reinbekommen. Das ist, ehrlich gesagt, ein ziemlicher Hammer. Und vergleichbar mit den Giftstoffen, die wir im Körper des toten Apothekers gefunden haben. Bis auf das hochgefährliche Conium maculatum war alles vertreten.« Sie hielt einen Moment inne. »Aber damit sage ich Ihnen wahrscheinlich nichts Neues.«
Franca seufzte auf. »Kann man sich denn an so was gewöhnen? Ich meine, Ludmilla Kurczeckys Angaben zufolge hat sie selbst diesen Tee getrunken und seine Harmlosigkeit beteuert.«
»Harmlosigkeit ist gut!« Irene Seiler schnaubte. »Obwohl es da sicher Unterschiede gibt, wie man so was verträgt. Pflanzliche Inhaltsstoffe sind nicht genau messbar. Dass sie dem Gemisch den Namen Traumtee gegeben hat, sagt ja bereits genug über dessen Wirkung aus. Haben Sie nie den Eindruck gehabt, dass sie weggetreten war?«
»Doch«, erinnerte sich Franca. »Einmal. Aber da stand nur so ein geöffnetes Cremetöpfchen auf dem Tisch.«
»Die gute alte Hexensalbe. Sehr beliebt bei modernen Hexen, wer sich auch immer
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