Engelskraut
etwas wiedergutmachen zu müssen.
Strippenzieherin, so hatte Brigitte Ludmilla bezeichnet.
»Wenn du jetzt die Zeit meinst, als wir Kinder waren, ja, da habe ich wohl wenig Verstand gezeigt«, ging Franca auf Millas Bemerkung ein. »Ich habe mich nicht besonders um dich bemüht, das ist richtig. Und ich war sicher oftmals unfair zu dir gewesen. Das tut mir aufrichtig leid.« Franca sah auf diese Frau, hinter deren äußerlich perfekten Maske sich die Schulkameradin von damals verbarg und von deren Nöten Franca nichts ahnte, weil sie nicht darüber nachgedacht hatte. Aber konnte man sich über alle und jede Gedanken machen? Wie war das mit den anderen Mädchen oder Jungs, mit denen sie die Schulzeit geteilt hatte? Menschen treten in unser Leben, wir verbringen – gewollt oder zufällig zusammengeführt – eine gewisse Zeit miteinander, bis jeder seine individuellen Wege geht.
Milla blickte finster vor sich hin.
»Wolltest du mich deshalb bestrafen? Hast du aus diesem Grund unsere Freundschaft wieder aufleben lassen?« Franca hatte absichtlich das Wort ›Freundschaft‹ gewählt, obwohl sie mit Ludmilla damals nichts Derartiges verbunden hatte. Was sie heute mit ihr verband, dafür gab es keine richtige Bezeichnung.
»Ich habe nichts vergessen von dem, was damals passiert ist. Absolut nichts.« Hass blitzte abermals in Millas Augen. »Und als ich dich vor dem ehemaligen Laden deines Vaters sah, wusste ich, die Gelegenheit war gekommen, es dir heimzuzahlen.«
Franca musste sehr an sich halten, ruhig zu bleiben. »Wenn ich mehr von deinem Traumtee getrunken hätte, würde ich dir hier nicht gegenübersitzen.« Bei dem Gedanken an die schlimmsten Stunden ihres Lebens spürte sie, wie ihr Herz hüpfte und flatterte wie ein Vogel im Todeskampf. Sie zwang sich, die inzwischen vertrauten Rhythmusstörungen zu ignorieren, ruhig zu atmen, langsam zu sprechen und jeglichen Vorwurf aus ihrer Stimme herauszulassen.
Milla fuhr mit der Hand durch die Luft, als ob sie sie zerschneiden wollte. »Der Tee war harmlos«, insistierte sie frostig.
Von wegen harmlos. Auch David war entsetzt gewesen, als er das Analyseergebnis erhielt. Dass Franca noch lebte, hatte sie Georgina und deren schnellem Handeln zu verdanken.
»Bist du nicht in eine andere Welt katapultiert worden? So was öffnet die Sinne. Ich finde, das sollte jeder mal ausprobieren. Um alles auch mal von einer anderen Sicht aus zu sehen«, fuhr Milla fort.
Franca hatte nichts anderes erwartet, als dass Milla die Dinge nach wie vor nach ihren eigenen Wahrnehmungsschemata zurechtbog. »Hast du Jürgen Klaussner ebenfalls deinen Traumtee verabreicht, angereichert mit etwas Schierling? Oder hast du ihn mit Hexensalbe eingerieben?«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.« Wieder dieser abwehrende, hochmütige Blick.
»Ach, Milla.« Franca seufzte tief auf. »Du bist Mandragora. Du bist Alraune. Und ich weiß nicht, welche Namen du dir noch zugelegt hast. Du hast Jürgen Klaussner zu seiner eigenen Ermordung in den Paradiesgarten bestellt. Das ist alles auf deinem Computer dokumentiert.«
Milla presste die Lippen fest aufeinander, als ob sie sich selbst geboten hätte zu schweigen. Die Sekunden dehnten sich zu Minuten. Aussitzen, befahl sich Franca. Damit hatte sie schon manche Vernehmung erfolgreich geführt.
Es war deutlich zu sehen, wie es in Milla arbeitete. Ihre Kiefer mahlten. Irgendwann konnte sie nicht mehr länger an sich halten und es brach aus ihr heraus. Wut lag in ihrer Stimme. Ihre graugrünen Augen funkelten kalt wie Stein. »Er war ein gerissener Schweinehund. Er hat mit meinen Gefühlen gespielt. Er hat mich geködert und zappeln lassen.« Nun redete sie schnell, nahm sich kaum Zeit zum Atemholen. »Erst hat er mir verschwiegen, dass er verheiratet ist. Dann hat er mir vorgegaukelt, er wolle sich scheiden lassen. Damit hat er mich mürbe gemacht. Und irgendwann wollte er von alledem nichts mehr wissen. Aber mit mir spielt man nicht. Jetzt hat er bekommen, was er verdient.«
Franca kommentierte nichts. Sie versuchte, bei ihrer Strategie zu bleiben. »Wie war das mit dem Stalker?«, fragte sie weiter. »Was hat sich da ergeben?«
Milla verzog spöttisch den Mund. »Als ob du das nicht wüsstest, Miss Oberschlau.«
»Du gibst also zu, dass nicht du gestalkt wurdest, sondern dass vielmehr du die Stalkerin warst?«
Ein Schnauben war die einzige Antwort.
»Warum hast du den Verdacht auf Ariane Bender gelenkt?«
Millas Augen flackerten. Ihr Mund
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