Engelsleid (German Edition)
Devise: Das Leben in vollen Zügen genießen , ohne Abhä n gigkeiten und Verpflichtungen. Na ja, wenigstens teilweise. Schließlich gab es ja noch etwas von größerer Bede u tung, dem ihre Zielstrebigkeit galt: Karriere. Sie wollte es wenig s tens zur Chefredakteurin einer gr o ßen Zeitung bringen.
Dass Hochzeiten bei ihr nicht hoch im Kurs standen, lag auch am Mangel geeigneter Kandidaten, obwohl Laura sich das nicht gerne eingestand. Ihre längste Beziehung hatte ein drei vie r tel Jahr gedauert, nicht gerade besonders lange, und manchmal glaubte Laura fast, sie sei nicht für ein Zusammenleben geeignet. Dabei hatten ihre Eltern ihr eine vorbildliche, harmonische Ehe vorgelebt, bis Karl Dennerwein vor vier Jahren überraschend an einem Herzinfarkt verstorben war. Aber Laura war nicht blind. Wo sie hinschaute, gleichgültig ob in Promiehen oder die der durc h schnittlichen Bevölkerung, es kriselte in fast jeder Ehe, und wenn Laura die Beziehungen ihrer Freundinnen analysierte, so gab sie kaum einer davon mehr als zwei Jahre, bis diese sich wi e der von ihrem Mann getrennt haben würde. Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen, außer in sexueller Hinsicht. Das ist g e legentlich recht amüsant und erquicklich , dachte sie.
Laura fühlte sich deprimiert. Sie war jetzt achtundzwanzig, die Schwelle zu dreißig rückte unaufhaltsam näher. Dabei hatte sie ihre Zeit gut genutzt, hatte Literaturwissenschaften studiert, dive r se Praktika in Verlagen absolviert und schließlich einen tollen Job bei einem international erscheinenden Reisemagazin ergattert. Neben Englisch und Französisch sprach sie fließend Italienisch sowie in Grundzügen Spanisch und Portugiesisch. Fähigkeiten, die ihr auf diversen Auslandsreisen entgegen kamen. Sollte es eines Tages notwendig sein, würde sie auch andere Sprachen erlernen, vie l leicht Finnisch und Schwedisch, um auch mal im Norden Europas zu recherchieren. Ihr Sprachtalent schien ihr angeboren. Weder Wortschatz noch Grammatik bereiteten ihr Schwierigkeiten. Wäre sie nicht zu faul, sich intensiver damit zu befassen, hätte sie Do l metscherin werden können.
Kein Mann, keine Lügen, kein Liebeskummer. Sollten die a n deren sich doch in ihr Unglück stürzen, Janine inklusive. Laura befand, sie würde es gelassen abwarten, wann die erste ihrer Freundinnen die Scheidung verkündete. Ich hab’s euch doch schon vorher gesagt … und dann würde sie ein bisschen, nur ein kleines bisschen Schadenfreude empfinden. Man gönnt sich ja sonst nichts.
Trotzdem war zu überlegen, was sie diesmal anziehen würde. Zu jeder zweiten Hochzeit hatte sie sich etwas völlig Neues g e kauft, auf den übrigen Hochzeiten diese Kleidungsstücke anders kombiniert. Mal eine Bluse mit jenem Rock oder einem Schal, dann wieder eine andere Jacke dazu. Auch wenn Laura selbst nicht auf Männerfang war, sie würde alles daransetzen, der Braut und allen anderen Frauen den Rang der Attraktivität abzulaufen, ei n fach ihrem Ego zuliebe. Es war ihr wichtig, beim Blick in den Spiegel zu bekennen: Laura, du schaust gut aus, begehrenswert. Mädels passt auf eure Männer auf. Nein, ehrlich. Laura hätte niemals einer ihrer Freundinnen den Mann ausgespannt. Aber als Trauzeugin wollte sie auf jeden Fall einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Oh ja, ich werde dieses Drama feierlich bezeugen, dachte Laura grimmig.
Prüfend musterte sie ihr Konterfei in der Spiegeltür ihres Schlafzimmerschrankes, betrachtete ihr Gesicht aus nächster N ä he , trat einen Schritt zurück und drehte sich ein wenig hin und her. Nein, es gab nichts zu bemängeln. Mit ihrer schlanken Figur und der Größe von eins zweiundsiebzig war sie zufrieden. Den make l losen Teint und das Profil hatte sie von Mama geerbt. Wem sie ihre blasse Haut verdankte, die eher zur Röte tendierte als eine schöne Bräune anzunehmen, blieb ein Rätsel. Lediglich die So m mersprossen auf ihrer Nase traten dabei stärker hervor. Als Kind hatte Laura sich darüber maßlos geärgert, aber seit sie entdeckt hatte, dass das andere Geschlecht ihre Somme r sprossen und die Grübchen an ihrem Mund sehr fraulich und attraktiv b e wertete, hatte sie sich damit versöhnt. Möglicherweise war ihr Großvater mütterlicherseits, der bei Lauras Geburt bereits ve r storben war, für dieses Erbe verantwortlich. Es sei normal, dass besondere Merkmale eine Generation überspringen, hatte Lauras Mutter erklärt. Das träfe auch auf die braune Haarfarbe mit dem rötlichen
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