Engelslicht
und trat von der Kirche weg.
»Oh ja«, meinte Dee. »Die Sache mit dem Feuer. Ihr denkt, ihr könnt nicht hineingehen, weil es ein Heiligtum Gottes ist …«
»Es ist das Heiligtum Gottes«, unterbrach Roland sie. »Ich will nicht derjenige sein, der diesen Ort zerstört.«
»Nur dass es kein Heiligtum Gottes ist«, sagte Dee schlicht. »Ganz im Gegenteil. Dies ist der Ort, an dem Jesus gelitten hat und gestorben ist. Daher war es nie ein Heiligtum, so weit es den Thron betrifft, und das ist die einzige Meinung, die wirklich zählt. Ein Heiligtum ist eine sichere Zuflucht, ein Ort, an dem man vor Schaden bewahrt wird. Sterbliche betreten diese Mauern, um auf ihre unendlich morbide Art zu beten, aber soweit es euren Fluch angeht, werdet ihr davon nicht betroffen sein.« Dee hielt inne. »Was gut ist, weil Sophia und eure Freunde in der Kirche sind.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Luce.
Dann hörte sie Schritte, die sich von der Ostseite des Innenhofes näherten. Dee warf einen kurzen Blick die schmale Straße hinunter.
Daniel umfasste Luces Taille so schnell, dass sie gegen ihn fiel. Zwei betagte Nonnen bogen unter einem Straßenschild mit der Aufschrift VIA DOLOROSA um eine Ecke und mühten sich mit einem großen Holzkreuz ab. Sie trugen eine schlichte dunkelblaue Tracht, dicke Gesundheitssandalen und Kreuze um den Hals.
Luce entspannte sich beim Anblick der beiden gewiss über achtzigjährigen Gläubigen. Sie wollte auf die Frauen zugehen und gehorchte damit einem Instinkt, alten Leuten beim Tragen zu helfen, aber Daniel ließ sie nicht los, als die Nonnen sich den großen Türen der Kirche mit quälender Langsamkeit näherten. Es schien unmöglich, dass die Nonnen die Gruppe von Engeln in wenigen Metern Entfernung nicht sahen – sie waren die einzigen anderen Seelen auf dem Platz –, aber die mit dem Kreuz kämpfenden Schwestern schauten nicht einmal in ihre Richtung.
»Ein bisschen früh für die Schwestern der Stationen des Kreuzes, oder?«, flüsterte Roland Daniel zu.
Dee zog ihren Rock glatt und steckte sich eine rebellische Haarsträhne hinters Ohr. »Ich hatte gehofft, dass es nicht dazu kommen würde, aber wir werden sie töten müssen.«
»Was?« Luce warf einen Blick auf eine der schwachen, verhutzelten Frauen. Ihre grauen Augen lagen wie Kieselsteine in den tiefen Falten ihres Gesichtes. »Sie wollen diese Nonnen töten?«
Dee runzelte die Stirn. »Das sind keine Nonnen, Liebes. Es sind Älteste, und wir müssen sie beseitigen, oder sie beseitigen uns.«
»Ihr Verfallsdatum ist längst überschritten.« Arriane tänzelte von einem Fuß auf den anderen. »Die recyceln hier in Jerusalem aber auch einfach alles.«
Vielleicht hörten die Nonnen Arrianes Stimme und wurden durch sie aufgeschreckt, vielleicht hatten sie auch gewartet, bis sie an genau der richtigen Stelle waren. In diesem Moment, als sie die Kirchentüren erreicht hatten, blieben sie stehen und drehten sich so, dass der lange Balken ihres Kreuzes wie eine Kanone über den Platz auf die Engel zielte.
»Wir haben keine Zeit zu verschwenden, Engel«, sagte Dee mit schmalen Lippen.
Die Nonne mit den Kieselsteinaugen bleckte rot geäderte Gaumen und sah die Engel an, während sie am kurzen Ende des Balkens fummelte. Daniel drückte Luce die Tasche in die Hand, dann stellte er sie hinter Dee. Die ältere Frau verdeckte Luce nicht ganz – sie reichte Luce nur bis ans Kinn –, aber Luce verstand und duckte sich. Die Engel entfesselten ihre Flügel in rasendem Tempo, während sie zu beiden Seiten ausschwärmten – Arriane und Annabelle bogen nach links ab, Roland und Daniel sprangen nach rechts.
Das riesige Kreuz war nicht die Bürde eines Pilgers, die er sich zur Buße auferlegt hatte. Es war eine gewaltige Armbrust, gefüllt mit Sternenpfeilen, um sie alle zu töten.
Es ging so schnell, dass Luce es nicht bemerkte. Eine der Nonnen gab den ersten Schuss ab. Der Sternenpfeil zischte durch die Luft genau auf Luces Gesicht zu. Luce sah ihn größer und größer werden.
Dann sprang Dee mit weit ausgebreiteten Armen nach vorn. Die stumpfe Spitze des Sternenpfeils prallte ihr mitten auf die Brust. Dee ächzte, als der Pfeil – harmlos für Sterbliche, das wusste Luce – von ihrem Körper abglitt und klappernd zu Boden fiel. Es schmerzte zwar, doch die Transhimmlische war unverletzt. »Presidia, du Närrin«, rief Dee der Nonne zu und zog den Pfeil mit ihrem hohen Absatz zu sich heran. Luce bückte sich, hob ihn auf und schob ihn
Weitere Kostenlose Bücher