Engelslicht
griffen, um sie im Becken aufzurichten. Auf der Wasseroberfläche schwamm eine Schicht aus grauem Staub. Er schimmerte nicht mehr.
Luce riss den Blick davon erst los, als Annabelle begann, ihr den Pullover über den Kopf zu ziehen. Sie spürte, wie er ihr ausgezogen wurde, gefolgt von dem T-Shirt, das sie darunter getragen hatte. Sie fummelte an dem Knopf ihrer Jeans. Wie viele Tage hatte sie diese Kleider schon getragen? Es war seltsam, von ihnen befreit zu sein, als lege man eine Hautschicht ab und betrachte sie auf dem Boden.
Sie fuhr sich mit der Hand durch das nasse Haar, um es sich aus dem Gesicht zu streichen. Ihr war nicht bewusst gewesen, wie schmutzig es war. Dann setzte sie sich auf die Bank im hinteren Teil des Beckens, lehnte sich an den Rand und begann zu bibbern. Annabelle goss heißes Wasser in die Wanne nach, aber Luces Zittern hörte nicht auf.
»Wenn ich nur im Flur geblieben wäre, wie Dee es mir gesagt hatte …«
»Dann wäre Cam jetzt tot«, unterbrach Arriane sie. »Oder jemand anders. Sophia und ihr Clan hätten heute so oder so Staub gemacht. Wir haben es alle gewusst, nur du nicht.« Sie seufzte. »Du bist aus der Deckung gekommen und hast versucht, Cam zu retten. Dazu gehört mächtig Arsch in der Hose, Luce.«
»Aber Gabbe …«
»Wusste, was sie tat.«
»Das hat Daniel auch gesagt. Aber warum sollte sie sich opfern, um …«
»Weil sie darauf gesetzt hat, dass Daniel und du und wir Erfolg haben werden.« Arriane stützte am Rand der Wanne das Kinn auf den Arm. Sie zog einen Finger durchs Wasser und durchbrach die Staubschicht. »Aber dieses Wissen macht es nicht leichter. Wir haben sie alle sehr geliebt.«
»Sie kann nicht wirklich fort sein.«
»Sie ist fort. Fort von dem höchsten Altar der Schöpfung.«
»Was?« Das hatte Luce nicht gemeint. Sie meinte, dass Gabbe ihre Freundin gewesen war.
Arriane legte die Stirn in Falten. »Gabbe war der höchste der Erzengel – hast du das nicht gewusst? Ihre Seele war viel wert, sie war … ich weiß nicht einmal, wie viele andere sie wert gewesen ist. Ich weiß nur, dass sie sehr wertvoll war.«
Luce hatte noch nie darüber nachgedacht, welchen Rang ihre Freunde im Himmel hatten, aber jetzt dachte sie daran, wie Gabbe auf sie aufgepasst hatte, für sie gesorgt hatte, ihr etwas zu essen oder Kleidung oder einen Rat gegeben hatte. Sie war Luce’ freundliche himmlische Mutter gewesen. »Was bedeutet ihr Tod?«
»Vor langer Zeit hat Luzifer den ersten Rang bekleidet«, sagte Annabelle. Nach einer Pause warf sie Luce einen Blick zu und bemerkte ihren Schock. »Er war ganz oben, wo die Action ist. Dann hat er rebelliert und Gabbe ist aufgestiegen.«
»Obwohl es ein zweifelhafter Segen ist, direkt unter dem Thron zu rangieren«, murmelte Arriane. »Dein alter Kumpel Bill könnte dir da einiges erzählen.«
Luce wollte fragen, wer nach Gabbe kam, aber irgendetwas hinderte sie daran. Vielleicht war es einst Daniel gewesen, aber sein Platz im Himmel war in Gefahr, weil er sich immer wieder für Luce entschied.
»Was ist mit Molly?«, fragte Luce schließlich. »Wiegt ihr Tod … Gabbes auf? In Bezug auf das Gleichgewicht zwischen Himmel und Hölle?« Sie kam sich gefühllos vor, über ihre Freunde zu reden, als seien sie Dinge – aber sie wusste auch, dass es nun auf die Antwort ankam.
»Molly war auch wichtig, aber sie stand im Rang etwas weiter unten«, erklärte Annabelle. »Das war natürlich vor dem Sturz, als sie sich auf die Seite von Luzifers Heerschar gestellt hat. Ich weiß, wir sollen nicht schlecht von den Zerstaubten sprechen, aber Molly hat mich wirklich genervt. Sie war so negativ.«
Luce nickte schuldbewusst.
»Aber in letzter Zeit war sie verändert. Es war, als sei sie aufgewacht.« Annabelle sah Luce an. »Um deine Frage zu beantworten, das Gleichgewicht zwischen Himmel und Hölle kann immer noch hergestellt werden. Wir müssen einfach abwarten, wie die Dinge sich entwickeln. Eine Menge Dinge, die jetzt von Bedeutung sind, werden unwichtig, falls Luzifer Erfolg haben sollte.«
Luce hörte Arriane, die hinter der Tür verschwunden war, dreimal hintereinander niesen. »Hallo, Mottenkugeln!« Als sie wieder zum Vorschein kam, hielt sie ein weißes Handtuch und einen übergroßen, karierten Bademantel in den Händen. »Das wird vorerst genügen müssen. Wir besorgen dir etwas anderes zum Anziehen, bevor wir Jerusalem verlassen.«
Als Luce nicht aus der Wanne kam, schnalzte Arriane mit der Zunge, als wolle sie ein
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