Engelslicht
einzigartigen Schein seiner Flügel konnte sie genug sehen. Ihr taten die Schultern weh und die Augen brannten. Aber sie hörte nicht auf und beklagte sich nicht.
Luce schlug auf ein viereckiges Stück rosafarbenen Steins, das Daniel gerade freigelegt hatte. Sie erwartete, dass ihre Hacke von dem massiven Fels abprallen würde. Stattdessen bohrte sie sich in etwas Weiches. Luce ließ die Spitzhacke fallen und grub mit den Händen in diesem überraschend tonähnlichen Bereich. Sie hatte eine Schicht Sandstein erreicht, der so bröckelig war, dass er bei der Berührung ihrer Finger zerfiel. Sie rückte die Laterne näher heran, um besser sehen zu können, und grub tiefer. Unter mehreren Handbreit Sandstein fühlte sie etwas Glattes und Hartes. »Ich habe etwas gefunden!«
Die anderen scharten sich um sie, während Luce sich die Hände an der Jeans abwischte und mit den Fingern eine quadratische Kachel freilegte, die etwa fünfzig Zentimeter im Durchmesser maß. Sie musste einst vollständig bemalt gewesen sein, aber jetzt war nur ein dünner Umriss eines Mannes mit einem Heiligenschein um den Kopf zu sehen.
»Ist es das?«, fragte sie aufgeregt.
Dees Schulter streifte die von Luce. Sie berührte die Kachel mit dem Daumen. »Ich fürchte, nein, Liebes. Das ist nur eine Darstellung von unserem Freund Jesus. Wir müssen weiter zurückgehen.«
»Weiter zurück?«, wiederholte Luce.
»Den ganzen Weg bis ins Innere.« Dee klopfte auf die Kachel. »Das ist die Fassade des jüngsten Heiligtums, eines mittelalterlichen Klosters von besonders einsiedlerischen Mönchen. Wir müssen bis hinunter zu dem ursprünglichen Gebäude graben, hinter dieser Mauer.«
Sie bemerkte Luce’ Zögern. »Hab keine Scheu, alte Darstellungen zu zerstören«, sagte Dee. »Es muss getan werden, um an das wirklich Alte heranzukommen.« Sie betrachtete den Himmel, als suche sie nach der Sonne, aber diese war schon vor langer Zeit hinter dem Horizont in ihrem Rücken versunken. Die Sterne waren aufgegangen. »Oje. Die Uhr tickt, nicht wahr? Nur weiter! Ihr macht das toll!«
Schließlich trat Phil mit seinem Stemmeisen vor und zerschmetterte die Jesuskachel. Der Raum dahinter war hohl, dunkel und roch modrig.
Die Outcasts sprangen auf die kaputte Kachel und erweiterten den Spalt, sodass sie tiefer hineingraben konnten. Sie arbeiteten hart und waren effizient in ihrem Zerstörungswerk. Das Heiligtum hatte schon lange kein Dach mehr gehabt, und sie stellten fest, dass der Felssturz auch das Innere gefüllt hatte. Die Outcasts wechselten sich damit ab, die Mauer wegzureißen und die Steinblöcke beiseitezuwerfen, die aus dem Gebäude nachrutschten.
Arriane stand abseits der Gruppe, in einer dunklen Ecke des eingeschlossenen Plateaus, und trat auf einen Steinhaufen ein, als wolle sie einen Rasenmäher in Gang bringen. Luce ging zu ihr hinüber.
»He«, sagte Luce. »Alles in Ordnung mit dir?«
Arriane schaute auf und schob die Daumen unter die Träger ihres Overalls. Ein verrücktes Lächeln blitzte auf ihrem Gesicht auf. »Erinnerst du dich, als wir zusammen Strafarbeit machen mussten? Sie haben uns die Reinigung des Friedhofs an der Sword & Cross aufgebrummt. Wir mussten zusammen diesen Engel abschrubben.«
»Natürlich.« Luce hatte sich an dem Tag elend gefühlt – von Molly zusammengestaucht, in Sorge um Daniel und in ihn verknallt, und, wenn sie so darüber nachdachte, unsicher, ob Arriane sie mochte oder einfach nur Mitleid mit ihr hatte.
»Das hat Spaß gemacht, nicht?« Arrianes Stimme klang wie aus weiter Ferne. »Das werde ich nie vergessen.«
»Arriane«, begann Luce, »in Wirklichkeit denkst du doch gerade über etwas ganz anderes nach, nicht wahr? Was hat dieser Ort an sich, dass du dich hier vor den anderen versteckst?«
Arriane balancierte auf ihrer Schaufel, schwankte vor und zurück. Sie beobachtete, wie die Outcasts und die anderen eine hohe Innensäule freilegten.
Schließlich schloss Arriane die Augen und platzte heraus: »Ich bin der Grund, warum dieses Heiligtum nicht mehr existiert. Ich bin der Grund, warum es Unglück bringt.«
»Aber – Dee sagte, es sei niemandes Schuld. Was ist passiert?«
»Nach dem Sturz«, sagt sie, »kam ich langsam wieder zu Kräften und suchte nach einer Zuflucht, nach einer Möglichkeit, meine Flügel in Ordnung zu bringen. Ich war noch nicht zum Thron zurückgekehrt. Ich wusste noch nicht einmal, wie ich das tun sollte, ich erinnerte mich nicht daran, was ich war. Ich war allein, und
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