Engelslicht
Schatten in den beleuchteten Teil am Eingang der Höhle. Sie schob mit dem Fuß eine große hölzerne Truhe auf sie zu.
Cam und Roland eilten ihr zu Hilfe, wobei der dumpfe bernsteinfarbene Schein ihrer staubigen Flügel dem Raum ein seltsames Licht verlieh. Sie hoben die Truhe an und trugen sie zu einer natürlichen Nische in der Höhle, auf welche Dee mit einer Geste wies. Auf ihr zustimmendes Nicken stellten sie die Truhe an der Höhlenwand ab.
»Vielen Dank, die Herren.« Dee strich mit den Fingern über den Messingrand der Truhe. »Es scheint mir erst gestern gewesen zu sein, dass ich dieses Ding hier heraufgebracht habe. Obwohl es fast zweihundert Jahre her sein muss.« Sie lächelte ein wenig wehmütig. »Aber das Leben eines Menschen ist nur ein Tag. Gabbe hat mir geholfen, obwohl sie sich wegen der Sandstürme danach nicht mehr an den genauen Ort erinnert hat. Das war ein Engel, der den Wert einer guten Vorbereitung gekannt hat. Sie wusste, dass dieser Tag kommen würde.«
Dee zog einen eleganten silbernen Schlüssel aus der Tasche ihrer Strickjacke und drehte ihn im Schloss der Truhe. Als das alte Ding sich knarrend öffnete, beugte Luce sich in der Erwartung vor, dass etwas Magisches – oder zumindest Historisches – zum Vorschein kommen würde. Stattdessen warf Dee sechs normale Militärfeldflaschen heraus, drei kleine Bronzelaternen, einen schweren Stapel Decken und Handtücher sowie Brechstangen, Spitzhacken und Schaufeln.
»Trinkt, wenn ihr müsst. Lucinda zuerst.« Sie verteilte die Feldflaschen, die mit kaltem, köstlichem Wasser gefüllt waren. Luce stürzte den Inhalt ihrer Flasche hinunter und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Als sie sich die Lippen ableckte, waren sie kratzig vom trockenen Sand.
»So ist es schon besser, nicht wahr?« Dee lächelte. Sie nahm eine Streichholzschachtel zur Hand und entzündete in jeder Laterne eine Kerze. Licht flackerte von den Wänden und rief dramatische Schatten hervor, als die Engel sich vorbeugten, sich drehten und einander abklopften.
Arriane und Annabelle schrubbten sich die Flügel mit den trockenen Tüchern. Daniel, Roland und Cam zogen es vor, den Sand aus ihren herauszuschütteln und schlugen sie gegen die Felsen, bis das leise Geräusch rieselnden Sandes auf dem Steinboden nachließ. Die Outcasts schienen sich damit abzufinden, schmutzig zu bleiben. Bald war die Höhle von einem engelhaften Schein hell erleuchtet, als hätte jemand ein Lagerfeuer angezündet.
»Was jetzt?«, fragte Roland, als er den Sand aus einem Lederstiefel schüttete.
Dee war zum Eingang der Höhle gegangen und wandte den anderen den Rücken zu. Sie trat auf das Felsplateau hinaus, dann wartete sie, dass sie ihr folgten.
Sie versammelten sich in einem kleinen Halbkreis und blickten auf die schräge Geröllhalde und die Olive und den Feigenbaum, die sich in die Felsen krallten.
»Wir müssen hinein gehen«, erklärte Dee.
»Wo hinein?« Luce schaute sich um. Die Höhle, aus der sie gerade gekommen waren, bot die einzige Möglichkeit, irgendwo hineinzugehen, soweit Luce sehen konnte. Hier draußen gab es nur den flachen Boden des Plateaus und den Bergsturz an der Felswand.
»Heiligtümer werden auf Heiligtümern gebaut, die auf Heiligtümern gebaut wurden«, sagte Dee. »Das erste auf Erden stand früher genau hier unter diesem Hang aus herabgefallenem Stein. Im Innern ist das letzte Stück der frühen Geschichte der Gefallenen verschlüsselt. Dies ist der Qayom Malak. Nachdem das erste Heiligtum zerstört worden ist, folgten mehrere andere an seiner Stelle, aber der Qayom Malak blieb immer in ihnen.«
»Sie meinen, dass auch Sterbliche den Qayom Malak benutzt haben?«, fragte Luce nach.
»Ohne viel nachzudenken oder zu verstehen. Im Laufe der Jahre hat jede neue Gruppe, die hier ihren Tempel erbaut hat, es immer weniger verstanden. Viele dachten, dieser Ort bringe Unglück« – sie warf Arriane einen Blick zu, die von einem Fuß auf den anderen trat –, »aber das ist niemandes Schuld. Es war vor einer langen Zeit. Heute Nacht graben wir aus, was einst verloren gegangen ist.«
»Sie meinen das Wissen über unseren Sturz?« Roland ging am Rand des Gerölls auf und ab. »Ist es das, was der Qayom Malak uns verraten wird?«
Dee lächelte rätselhaft. »Die Worte sind aramäisch. Sie bedeuten … nun, es ist besser, wenn ihr es selbst seht.«
Neben ihnen kaute Arriane geräuschvoll auf einer Strähne ihres Haares, die Hände tief in den Taschen
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