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Engelslied

Engelslied

Titel: Engelslied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nalini Singh
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schlichte, festgelegte biologische Tatsachen. Anscheinend begriff auch Harrison das langsam.
    Trotzdem war der Mann kein totaler Idiot, was selbst Elena zugeben musste. Er hatte Beth immer wie eine Prinzessin behandelt, auch dann noch, als sie ihn um die Trennung gebeten hatte. Vielleicht dämmerte ihm jetzt wirklich das gesamte Ausmaß seiner Egozentrik, stellte er sich langsam den Konsequenzen.
    »Bist du wütend?«
    Wieder zitterte Beths Stimme. Elena schloss ihre Schwester in die Arme und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. Ihre kleine Schwester, die jüngste der ursprünglichen vier – denn das würde Beth immer bleiben. Was Elena mit Eve verband, war etwas anderes als ihr Bund mit der Schwester, die ihr als Baby auf unbeholfenen, dicken Beinchen hinterhergelaufen war. »Nein, ich bin nicht wütend, Süße.« Sie drückte Beth fest an sich, und diese vergrub ihr Gesicht an Elenas Brust, wie sie es als Kind schon getan hatte. »Ich freue mich für dich.«
    Beths zitterndes Lächeln war so süß wie ihr Herz. »Ich werde dieses Baby so sehr lieben, Ellie, die Gefühle meines Kindes wird nie jemand verletzen!«
    Dann hatte Beth von den Spannungen im großen Haus damals doch mehr mitbekommen, als Elena gedacht hatte. »Komm.« Mit wehem Herzen griff Elena nach der Hand ihrer Schwester, um die Tür zum Lagerraum aufzuschließen.
    Sobald sie eingetreten waren, schlossen sie die Tür hinter sich. Die Temperatur im Raum wurde sorgsam kontrolliert und dauerhaft auf einem gewissen Stand gehalten, eine einzige, kalte Glühbirne sorgte hier für Beleuchtung. Die beiden machten sich daran, diverse Kartons und Kisten durchzugehen. »Das war deins!« Lachend warf Elena Beth ein ziemlich ramponiertes Feuerwehrauto zu. »Du wolltest Feuerwehrmann werden, als du noch klein warst.«
    »Ich?« Quietschend vor Lachen streichelte Beth das Holzspielzeug. »Darf ich es behalten? Für das Baby?«
    »Alles hier drin gehört uns beiden, Bethie.« Wie konnte es sein, dass das Baby ihrer Familie bald ein eigenes Baby haben würde? »Du brauchst nicht zu fragen.«
    Die beiden verbrachten mehr als zwei Stunden in dem Raum. Erst ganz zum Schluss traute sich Elena, den Quilt herauszuholen, den ihr ihre Mutter zum fünften Geburtstag geschenkt hatte. Sie setzte sich damit auf eine der Kisten und versuchte, am Kummer in ihrem Herzen vorbeizuatmen, während sie den Baumwollstoff glatt strich. »Mama saß gern in ihrem Nähzimmer an ihren Quilts, wenn wir in der Ecke spielten und Kleider für deine Puppen entwarfen.«
    Beth quetschte sich neben Elena auf die Kiste, kuschelte sich eng an ihre große Schwester, wie sie es damals auch immer getan hatte. Ehrfürchtig streichelten ihre Finger die mit Blumen bestickten kleinen Rechtecke des Quilts. »Suzy und Janey. Meine Puppen hießen Suzy und Janey.«
    »Ja.« Dann erinnerte sich Beth also noch – sie hatte ihre Puppen damals an dem Tag, als Ari und Belle beerdigt wurden, voll Trauer und Wut weggeschlossen, um sie nie wieder hervorzuholen. Als Elena sie danach gefragt hatte, hatte sie gesagt, Janey und Suzy seien gemein gewesen, sie hätten gesagt, Ari und Belle würden nie wiederkommen.
    »Weißt du noch?« Beth zog den Quilt über Elenas und ihre Knie. »Mama hat uns immer etwas vorgesungen, wenn sie die einzelnen Stoffstücke ausgeschnitten hat.«
    »Frère Jacques, frère Jaques, dormez-vous? Dormez-vous?«
Ihre Stimme klang weich und heiser, als sie das alte Kinderlied sang.
»Sonnez …«
    »Sonnez les matines«,
fuhr Elena fort, als ihrer Schwester die Stimme versagte.
»Sonnez les …«
    Dann weinten sie beide, Beth zusammengerollt in Elenas Armen, Elenas eigene Augen fast blind vor Tränen. Auch an Marguerites Beerdigung hatte Elena Beth in ihren Armen gehalten, den kleinen Körper, der nicht aufhören wollte zu zittern.
    »Ich will Mama«, hatte sie immer wieder gesagt. »Warum hat Papa sie in die Erde getan, Ellie? Sie mag die Kälte nicht. Du musst ihm sagen, dass er sie zurückbringen soll. Ich will Mama. Bitte, Ellie.«
    Heute schwieg Beth, aber ihre herzzerreißenden Schluchzer sagten Elena, dass sich an Beths sehnlichem Wunsch nichts geändert hatte. Ihre kleine Schwester, die selbst bald Mutter werden sollte, wollte ihre Mama bei sich haben.

29
    Raphael sah Elena beim Schlafen zu. Als sie anfing, sich unruhig hin und her zu wälzen, und sich ein dünner Schweißfilm auf ihrer Haut bildete, überraschte ihn das kaum. Tiefer Schmerz hatte in ihren Augen gelegen, als sie zu

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