Engelslied
Das wird allerdings beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen.«
»Das ist doch zumindest mal etwas Positives.« Elena beendete ihre Kata, um sich dann den Schweiß vom Gesicht zu wischen, denn an diesem Morgen schien die Sonne, wobei der Schnee allerdings noch nicht ganz geschmolzen war. »Was ist mit Vampirreisen?«
»Sind in höchstem Maße eingeschränkt.« Raphael war ganz Erzengel, kalt und entschieden. »Die Nachricht von der Krankheit hat sich herumgesprochen, die meisten Vampire halten sich freiwillig zurück. Und um alle die, die gegen entsprechende Anordnungen verstoßen, wird man sich kümmern.«
»Gut.« Solche Maßnahmen mochten für Vampire, die aus beruflichen Gründen viel reisten, ärgerlich sein, aber es stand nicht nur ihr eigenes Leben auf dem Spiel. »Stell dir nur vor, der Vampirpilot des Flugzeugs aus Shanghai wäre nicht von einem Auto angefahren und eine Stunde vor Abflug der Maschine durch einen Menschen ersetzt worden! Dann hätte die Krankheit weit größere Verbreitung gefunden!« Auch Raphael hatte seine Übungen beendet. Elena stellte sich vor ihn und legte ihm die Hände auf die warme Haut des nackten Oberkörpers.
»Zu jeder anderen Zeit würde ich jetzt einen Präventivschlag landen und die hinterhältigen Übergriffe stoppen.« Raphaels Augen blitzten zornig. »Aber meine Kräfte sind so dezimiert, unsere einzige Option besteht in der Verstärkung unserer Verteidigung. Wir haben einfach nicht genügend Leute, um die Stadt zu schützen und gleichzeitig einen Angriff zu starten.«
Elena schlang die Arme um ihn und lehnte sich fest an ihn. Ein vor Zorn ganz heißer Raphael war ihr hundertmal lieber als der seltsam kalte aus der Zeit, als Blut den Fluss hinuntergeflossen war. »Ich werde nach dem Frühstück die verwundeten Engel besuchen.« Sie klammerte sich fester an ihren Mann. »Ich war so viel mit dir und den Sieben zusammen, da habe ich einen völlig falschen Eindruck von den Heilkräften eines Engels erhalten. Ich wusste ja nicht, wie lange das alles dauert und wie schlimm die Nebenwirkungen eurer Medizin sind.« Die Männer und Frauen auf der Krankenstation im Turm ließen ihre abgetrennten Gliedmaßen und zerstörten Organe wortwörtlich Zentimeter für Zentimeter neu wachsen, was so rasend wehtat, dass es manchen die Tränen in die Augen trieb.
»Izak schluchzte, als ich gestern bei ihm war.« Auch in Elenas Augen brannten Tränen. »Und er hat sich so geschämt, weil ich ihn dabei erwischt habe.« In ihrem Hals hatte sich ein Kloß gebildet, sie musste mehrmals schlucken, um weitersprechen zu können. »Ich habe ihm gesagt, man muss sich nicht schämen, wenn man zugibt, Schmerzen zu haben. Auch ich habe geweint, wenn ich verletzt war und sei deswegen doch keinen Deut weniger stark. Aber ich weiß nicht, ob er mir das glaubt.«
Raphael fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar. »Er ist im Grunde immer noch ein Junge, und er verehrt dich.« Ein rascher Kuss auf ihre Schläfe. »Sprich mit ihm über seine Vorbereitung für den Eintritt in deine Leibgarde. Damit ermutigst du ihn am ehesten.«
»Soll ich ihm etwa sagen, wir hätten vor, ihn zum Training Illium und Dmitri zuzuteilen? Dann bekommt er womöglich noch Angst.« Im Vergleich zu den gefährlichen Sieben war Izak noch ein Baby.
»Schon möglich, dass er Angst bekommt. Aber wie ich ihn kenne, spornt ihn das an, gibt ihm den nötigen Antrieb, sich durch die kommenden quälenden Schmerzen zu beißen. So kann er doch auch beweisen, dass sein Anspruch auf die Stellung bei dir zu Recht besteht.«
Raphaels Vorhersagen erwiesen sich als goldrichtig. Izak wurde kreidebleich, als Elena ihm erklärte, wie zäh er als Mitglied ihrer Leibgarde werden müsste. Aber dann holte er tief Luft und warf ihr einen unerwartet ernsten, erwachsenen Blick zu. »Danke. Ich dachte, Sie würden mir die Stellung nur anbieten, weil Sie Mitleid mit mir haben.«
»Mein Mitleid spare ich mir für die Zeit auf, wenn Galen eintrifft, um dein Training zu übernehmen.«
»Galen?« Izak zuckte sichtlich zusammen. »Ich hatte gehofft, der würde in der Zufluchtsstätte bleiben.«
»Wenn er das tut, wird man dich dorthin verschiffen.« Elena zwang sich, seine rohen Wunden zu ignorieren, als sie ihm einen Kuss auf die Stirn drückte. »Ich bin mir sicher, er wird dich nicht jeden
Tag grün und blau schlagen.«
»Ellie! Ich wusste gar nicht, wie gemein Sie sein können!«
Izaks Miene war finster, aber in seinen Augen funkelte ein Lächeln, als
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