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Engelslied

Engelslied

Titel: Engelslied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nalini Singh
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ich nicht kontrollieren kann.«
    Als Elena sah, wie sich die Finger der Hand, die das Glas hielten, immer mehr verkrampften, bis sie fürchten musste, dass das Glas sich in Staub verwandeln würde, nahm sie es ihm aus der Hand. »Du hattest erst zwei Mal Gelegenheit …«
    »Diese Kraft verändert mich«, unterbrach er sie. »Du hast selbst gespürt, wie sie versucht hat, die Kontrolle zu übernehmen. Du hattest recht.« Raphael stützte sich auf den Kaminaufsatz, seine Flügel bogen sich weißem Feuer gleich bis auf den Boden. »Wenn sie mich in ihrem Griff hat, könnte ich ohne mit der Wimper zu zucken Millionen morden.«
    Elena drehte sich der Magen um. Erregt huschte ihr Blick von der weißen Schönheit seiner Flügel hin zu seinem Gesicht. »Lass den Zauber fallen.« Eine Sekunde später stieß sie einen leisen Fluch aus.
    »Der Fleck ist gewachsen!« Sie trat neben Raphael, um die Umrisse des Mals mit den Fingern nachzuzeichnen. »Das kann kein Zufall sein. Es hängt irgendwie mit diesen Machtfluktuationen zusammen.«
    Raphael richtete sich auf. »Das ist mir egal. Ich kann diese Kraft nicht benutzen, denn das wäre nur möglich, wenn ich ihr erlaubte, meine Persönlichkeit auszulöschen. Wenn der Raphael, der diese Kraft beherrscht, einer ist, der nur noch in der Stille lebt … da könnte ich meine Stadt gleich an Lijuan übergeben.«
    Raphael – permanent an diesem Ort der Stille, die nichts Gutes wollte, in der er nicht mehr der Mann war, der sie liebte? Den sie liebte? Diese Vorstellung musste Elena verdrängen, wenn sie jetzt klar denken, alle Aspekte des Erlebten durchleuchten wollte. Irgendetwas nagte an ihr, ein Gedanke, der sich schwer festhalten ließ. »Die Vögel! Als sie das erste Mal vom Himmel fielen – könnte das nicht mehr als ein Ereignis gewesen sein? Fanden vielleicht zwei gleichzeitig statt?«
    Raphaels Augen waren wieder rein blau, ohne eine Spur von diesem kalten, flüssigen Schwarz darin, als er sie jetzt ansah. »Glaubst du, sie hatten beim ersten Mal einfach Pech? Gerieten per Zufall in die Krankheitswelle, die die Engel abstürzen ließ?«
    »Am Himmel ballten sich brodelnd Wolken zusammen, wie heute auch …« Vorsichtig versuchte Elena in Worte zu fassen, was ihr langsam klar zu werden begann. »Könnte doch sein, dass sie zu dir kamen und nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Sie zogen von Manhattan hinaus zur Enklave, erinnere dich!«
    In Raphaels Flügeln schufen die Flammen im Kamin weiterhin die Illusion von weißem Feuer, bis er sich aus dem Kaminbereich hinausbewegt hatte, um die Tür zu öffnen, die ins Freie hinausführte. »Du könntest recht haben.«
    »Aber damit haben wir noch keine Antworten auf alle unsere Fragen, nicht wahr?«
    Raphael stand in der Tür, sah hinaus in den frisch gefallenen Schnee. »Die Kraft hat versucht, mich zu verführen. Sie hat mir zugeflüstert, ich möge sie in meine Zellen aufnehmen.« Er warf einen Blick über seine Schulter. »Früher, bevor du in mein Leben tratest, hätte ich das bestimmt auch getan. Und die Kraft hätte mich von innen heraus zerstört.«
    Sie folgte ihm hinaus ins zarte Weiß. Schneeflocken streiften ihre Wangen und Flügel, umtanzten sie in einem neckischen, weichen Reigen. Der Schnee war nicht schwer und nass, es lag gerade genug davon da, um die Landschaft hübsch aussehen zu lassen. Eben noch waren ihre Fußspuren zu sehen gewesen, jetzt schimmerten sie bereits unter einer dünnen Kristallschicht im Sternenlicht.
    Alles war so still, fast hätte man von einem magischen Augenblick sprechen können. Aber was nützte ihnen die ganze Schönheit, wenn ein Krieg bevorstand? »Ehe es dich für mich gab«, flüsterte Elena leise, »habe ich mich tief in meinem Herzen verkrochen, um es vor Schaden zu bewahren. Ich kannte die Herrlichkeit nicht, die mir so entging.« Sie griff nach Raphaels Hand. »Du und ich, wir sind eine Einheit. Die Übel der Welt sollen ruhig versuchen, uns auseinanderzureißen, sie werden schon sehen, was sie davon haben.«
    Raphael breitete seine Flügel aus, nahm seine Kriegerin fest in die Arme und hüllte sie beide in den Schutz seiner weißgoldenen Schwingen. Der Krieg mochte unvermeidlich sein, der Verlust seiner Seele jedoch nicht. Manche zahlten einen zu hohen Preis für die Unsterblichkeit – ihm würde Elena dies nie gestatten.
    »Lieber will ich als Elena sterben, als als Schatten weiterzuleben.«
    Das hatte seine Gemahlin zu ihm gesagt, als sie beide umeinander warben –

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