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Engelslied

Engelslied

Titel: Engelslied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nalini Singh
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inzwischen ein Erzengel mit eigenem Territorium war.
    Caliane lächelte verhalten. Und als sie sprach, erinnerte ihn die Musik in ihrer Stimme an die Lieder, die sie ihm vorgesungen hatte, als er noch ein kleiner Junge gewesen war, Lieder, die es vermocht hatten, die gesamte Zufluchtsstätte in ihren Bann zu schlagen. »Du warst immer schon ein dickköpfiges Kind. Und wenn du wütend wurdest, konnte dich dein Vater nur auf eine Art von deinem Zorn ablenken: indem er dich in seine Arme schloss und mit dir flog. Oh, wie warst du begeistert, wenn du mit Nadiel fliegen konntest.« Liebe und immerwährende Trauer, in jedem einzelnen ihrer Worte. »Du kamst immer lachend zurück, mit wehenden Haaren und knallroten Wangen. Mein schöner Sohn.«
    Sie legte die Hand an den Bildschirm. Raphael tat es ihr gleich. Das Herz tat ihm weh wie immer, wenn ihn seine Mutter an all das Schöne, Vergangene erinnerte. Er wusste nicht, ob er Caliane ihre Verbrechen je würde verzeihen können, wusste ja nicht einmal, ob sie wirklich wieder ganz bei Verstand war oder sie alle nicht gerade nur Zeugen einer vorübergehenden Stille im Sturm wurden. Aber eines wusste er genau: Er liebte seine Mutter. »Solche Geschichten erzählst du aber nicht, wenn wir in Gesellschaft sind!«
    Auch Calianes Lachen klang wie ein Lied, in ihren Augen schimmerten sämtliche Farben des Regenbogens. »Ein Baby wirst du nur in meinen Augen sein, mein Sohn, das verspreche ich dir. Immer mein Kind, immer mein Sohn.« Und während ihr Lachen erneut in Trauer umschlug, fügte sie hinzu: »Es tut mir leid, Raphael. Es bereitet tiefe Schmerzen, wenn man auch nur einen seiner Leute verliert.«
    Als er den Anruf beendet hatte und sich Elena zuwandte, musste er feststellen, dass sie sich gerade eine Träne aus dem Augenwinkel wischte. Seine tapfere, seine zähe Jägerin, deren Schale für die, die sie kannten, gar nicht so hart war, wie es nach außen hin den Anschein hatte.
»Hbeebti.«
Er schloss sie in die Arme, die Seide ihres Morgenrocks liebkoste seine Haut.
    »Sie liebt dich so sehr.« Elenas Stimme war rau, heiser. »Sie liebt dich mit jedem Atemzug, mit jedem Wort, das sie spricht. Ich mag mir nicht ausmalen – ich kann mir nicht ausmalen! –, was es für sie bedeuten muss, zu wissen, dass sie dich während ihrer Zeit des Wahnsinns so schwer verletzt hat.«
    Seine Mutter war nicht bei Verstand gewesen, als sie ihn mit zerfetzten Flügeln aus großer Höhe auf die Erde hatte stürzen lassen. Das hatte Raphael inzwischen verstanden. Aber ein Teil von ihm war immer noch dieser Junge, der schwer verletzt im taugetränkten Gras gelegen hatte – während die Füße seiner Mutter über die von klebrigem Rot besudelten grünen Halme tanzten. »Ich kann es nicht vergessen.«
    »Ich weiß«, sagte Elena, die es auch nicht vergessen konnte, die ihn besser verstand als irgendjemand sonst, die dadurch noch enger mit ihm verbunden war. »Ich weiß.« Auch Elenas Mutter hatte ihre Tochter geliebt, aber wenn Elena an Marguerite dachte, dann immer nur an den hochhackigen Schuh, der umgekippt auf den hübschen schwarz-weißen Kacheln gelegen hatte.
    Es war schon seltsam, wie ihre Haut beim bloßen Gedanken an diesen Schuh feucht und klamm wurde, wie ihre Lungen mühsam nach Luft rangen. Aber so war es nun einmal. Manche Erinnerungen graben sich tiefer ein als andere, wollen sich einfach nicht auslöschen lassen.
    »Was passiert jetzt?«
    »Niemand darf diese Stadt und meinen Turm für schwach halten.«
    »Natürlich nicht.« Denn das könnte von gewissen anderen im Kader als Einladung zu einem Angriff und einer Eroberung verstanden werden. »Wir müssen den Leuten glaubhaft zu verstehen geben, dass bei dem Sturz weniger Schaden entstanden ist, als das in Wirklichkeit der Fall ist.« Von den Verteidigern des Turms fiel fast die Hälfte auf unabsehbare Zeit aus, ein erschütterndes Ergebnis.
    »Ja.« Raphael band ihr den Gürtel des Morgenrocks auf, schob die Hände unter den seidigen Stoff. Elena zitterte, als seine Finger ihre Haut berührten. »Unter anderem sollte meine Gemahlin unbedingt dabei beobachtet werden können, wie sie ihrer seltsamen Leidenschaft für die Vampirjagd nachgeht.«
    »Sehr witzig.« Sie knöpfte ihm das Hemd auf, das er sich für den Anruf hastig übergestreift hatte, und drückte einen Kuss auf seine festen Brustmuskeln. »Dann sage ich Sara, sie soll mich nicht vom Dienstplan streichen.« Straffällig gewordene Vampire zu jagen schien nach der

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